Moderatorin mit Kobold-Lächeln

Maybritt Illner moderiert jeden Donnerstag die politische Talkshow im ZDF. Dort kann sie gnadenlos unverschämt sein und ihre Sprecherzieher verblüffen. Diese prophezeiten ihr einst: Mit dieser Stimme kommst Du nie ins Fernsehen.

Insight 10/2008

Sie lächelt schon wieder. Es ist dieses unverschämt schelmische Lächeln, das ihrem Publikum signalisiert: Gleich kommt noch was, gleich hat sie noch eine Pointe. Maybritt Illner sitzt im ZDF Hauptstadtstudio inmitten einer Herren-Runde. Es ist Donnerstag Abend. Illners politische Talkshow geht in die letzten Minuten. Das Thema lautet: „Arbeitsmarkt absurd“.

Sie setzt dieses Kobold-Lächeln auf, während Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger dafür wirbt, trotz hoher Arbeitslosigkeit ausländische Fachkräfte ins Land zu holen. Im Halbkreis um die kleine ZDF-Bühne haben rund 100 Zuschauer Platz genommen. Auf den fünf Sitzreihen ist es furchtbar stickig und eng. Man sieht und hört schlecht. Ganz hinten müssen die Zuschauer aufpassen, dass ihnen der Kamera-Kran bei einem seiner wagemutigen Schwenks den Kopf nicht abschlägt.

Man fragt sich in diesen Sekunden, wieso Menschen freiwillig acht Euro Eintritt bezahlen, um Maybrit Illner aus acht Metern Entfernung live zu erleben. Aber vielleicht ist es ja wegen dieses Lächelns, das man auf den Fernsehschirmen nicht zu sehen bekommt, weil die Kamera gerade den langweiligen Günther Oettinger zeigt. Oettinger, der mehr qualifizierte Gastarbeiter will.

Maybritt Illner hat also die Lippen leicht geöffnet, zieht die Mundwinkel nach oben. Ihre Augen funkeln. Sie holt Luft und fragt dann: „Sagen Sie Herr Oettinger, sollen wir uns auch Politiker aus dem Ausland holen?“

Das Publikum im Saal verfällt in schallendes Gelächter. Oettinger grinst verlegen. Entwaffnet. Und Illner lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück.

Die Szene ist typisch für sie. Illner kann gnadenlos unverschämt sein, ohne dass man ihr das übel nimmt. Sie kann Gregor Gysi ermahnen: „Schön lieb bleiben, Herr Gysi!“ und ausweichende Antwortgeber wiederholt mit dem Satz nerven „Das ist nicht das, was ich wissen wollte.“ Kollegen begrüßt Illner schon mal mit den Worten: „Sie sehen ganz schön urlaubsreif aus.“ Und bevor das völlig verdutzte Gegenüber reagieren kann, schickt sie lachend hinterher. „Aber bei mir ist es noch viel schlimmer. Sieht man nur nicht mehr. Ich war schon in der Maske.“

Maybritt Illner hat diese scheinbar unerschütterlich gute Laune, eine mädchenhafte Heiterkeit – selbst dann noch, wenn um sie herum betagte Herren über Steuerreformen, Sozialtarife oder Sterbehilfe streiten. „Politik  muss nicht weh tun“, sagt Illner. „Politische Fragen müssen nicht unter Schmerzen  debattiert  werden. Ein humorvoller Ton  kann  durchaus helfen. Das ist ein guter Nährboden. Das macht locker beim Denken. Ironisch zu sein, auch zynisch, ist im übrigen sehr zeitgemäß.“

Doch man ahnt, dass hinter Illners heiterer Gelassenheit oft große Mühen stecken. Nur auf den ersten Blick verlief ihre Karriere geradezu märchenhaft.

Maybrit Illner wurde 1965 als Tochter einer Lehrerin und eines Ingenieurs in Ost-Berlin geboren. Mit dem Wunsch, Sportreporterin zu werden, studiert sie in Leipzig Journalistik. Anschließend arbeitet sie beim ostdeutschen Fernsehen. Nach der Wiedervereinigung wechselt sie zum ZDF-Morgenmagazin, dessen Leitung sie 1998 übernimmt und wird ein knappes Jahr später Moderatorin ihrer politischen Talk-Sendung „Berlin Mitte“ am Donnerstag Abend im ZDF.

Hürden und Neider begegneten ihr bei diesem Aufstieg auf jeder Etappe. Jahrelang fahndeten Journalisten-Kollegen nach einer Stasi-Akte von ihr. Der Grund: Noch 1986 war Illner als Studentin in die SED eingetreten. Sie selbst begründet diesen Schritt mit der Reform-Ära, die in der Sowjetunion unter Michael Gorbatschow angebrochen war. „Ich hatte damals die Hoffnung, dass Perestroika und Glasnost auch in die DDR Einzug halten werden.“

Illlner sagt, was nahezu alle Ostdeutschen sagen, die kurz vor dem Ende der DDR noch SED-Mitglied wurden: Man habe die Partei von Innen heraus verändern wollen. Es klingt für eine politisch interessierte Frau reichlich naiv. Wer hätte denn der Gorbatschow der DDR werden sollen: Egon Krenz oder der greise Günther Mittag? Zahlreiche Reporter wühlten sich jedenfalls durch die ostdeutschen Archive auf der Suche nach irgendeiner Akte, einem Protokoll, einer Dummheit, die Illner als blutjunge SED-Genossin vielleicht begangen haben könnte. Aber sie fanden nichts.

Dieses Stöbern in ihrer Vergangenheit ging Illner sehr nahe – das sagen zumindest Kollegen. Doch von allein spricht sie das Thema nicht an. Nach Schwierigkeiten in ihrer Karriere befragt, fallen Illner zuerst ihre Übungen als Live-Reporterin an der Uni ein. „Während meines Studiums waren  die  Sprecherzieher überzeugt, dass ich mit meiner Stimme alles machen könne, nur nicht live kommentieren“, sagt sie und lacht. „Da fange ich hoch motiviert an und alle erzählen mir, dass ich für ein Publikum stimmlich nur schwer zu ertragen bin! Das macht Mut.“

Sie hat sich davon nicht beirren lassen, die Kritik mit Humor überwunden – und an sich gearbeitet. Jahrelang stand sie täglich nachts 3 Uhr auf, als sie beim ZDF-Morgenmagazin moderiert hat. Auch heute noch – um einiges erfahrener und populärer – bereitet sie sich intensiv auf jede Sendung vor. Ihr Team stellt Illner zu jedem Talkgast einen kleinen Ordner zusammen mit dessen Lebenslauf, Standpunkten, Informationen zu Freunden und Feinden. Die Ordner ackert sie Seite für Seite durch. Jede Woche.

Etwa eine Stunde bevor ihre Sendung beginnt, schreitet Maybritt Illner zur Probe. Es ist der Moment, in dem sie die Mühen der Vorbereitung abschüttelt und ihren Humor rauslässt. Das fällt angesichts des Bildes, das sich im ZDF Hauptstadtstudio bietet, allerdings auch nicht schwer. Auf den orangenen Studio-Sesseln für die Talkgäste lümmeln fünf Komparsen. Sie haben Zettel auf dem Schoß liegen, auf denen der Name des Gastes steht, den sie in der Probe darstellen. Günther Öttingers Vertreter trägt ein blaues T-Shirt zu ausgebeulten Jeans und weißen Turnschuhen. Fußball-Profi Christoph Metzelder hat schon Halbglatze.

Illner sitzt in schwarzem Hosenanzug dazwischen, liest ihre Anmoderation vom Teleprompter ab und albert herum. Als der Metzelder-Komparse über die Probleme Jugendlicher referiert, schlägt sie ihm mit der Hand auf den linken Oberschenkel und sagt: „Jetzt grinse doch nicht so, wenn Du so etwas erzählst.“ Und als Illner Klaus Ernst von der Linken für den Chat nach der Sendung ankündigt, sagt sie: „Klaus, die Maus, ist gleich im Internet und beantwortet alle ihre Fragen.“

Rund 15 Minuten dauert die Probe, bei der Licht und Ton eingestellt, alle Einspielfilme der Sendung gezeigt werden und Illner einige Formulierungen testet. Danach verschwindet sie allein in einer Kammer und arbeitet noch einmal an ihren Stichpunkten, die sie auf große grüne Moderationskarten überträgt.

Sie ist – das sagen sogar Kritiker – stets exzellent informiert. Sie mag fröhlich wirken, unbekümmert, in bestimmten Situationen sogar naiv. Aber sie kennt die Tiefen ihrer Themen, weiß um Fallstricke, Probleme und hat die neuesten Vorschläge zur Pendlerpauschale im Kopf. Und natürlich würde sie nie behaupten, dass in ihrer Sendung politische Probleme allumfassend erörtert oder gar gelöst werden können.

Das ist auch nicht  unser  Ziel“, sagt Illner. „Wir wollen existierende Konflikte in der Gesellschaft ja nicht deckeln. Wir wollen die Interessenskonflikte offenlegen und klar machen, wer mit welcher Intention welche Politik macht. Ich will Konflikte nicht zukleistern, sondern sichtbar machen, damit das Publikum die angebotenen politischen Lösungen oder Scheinlösungen besser einschätzen kann.“

Ihre Talkgäste ertragen ihre burschikose Art in der Regel mit Gelassenheit oder lachen mit. Der Linkspartei-Politiker Klaus Ernst jedenfalls grinst vergnügt als Illner ihn mit den Worten anspricht: „Sie sind ja auch so ein alter Kempe der IG Metall. Seit dreißig Jahren lief kein Kampf ohne sie.“ Ein Politiker, um den sie seit Jahren hartnäckig buhlt, hat sich ihrer Sendung aber bislang verweigert: Altkanzler Helmut Kohl.

Wenn nach sechzig Minuten Talkshow im ZDF-Hauptstadtstudio die Kameras ausgehen, läuft Illner nicht plötzlich davon, sondern bittet das Publikum im Saal für jeden Gast noch einmal um einen kräftigen Applaus. Sie bedankt sich fröhlich bei den Zuschauern und verabschiedet sich mit den Worten: „Ich habe eine schreckliche Nachricht für Sie: Hier passiert nichts mehr.“

Dann gibt sie doch noch Autogramme, lässt sich von einigen Rentnern fotografieren, die dem Fernsehstar stolz die Hand schütteln. Für irgendetwas müssen die acht Euro Eintritt ja gut gewesen sein.

Zeit für ein Gespräch nach der Sendung hat sie aber nicht mehr. Fragen zu ihrer Person, ihrem Werdegang für ein Portrait will Illner lieber am Telefon beantworten. Zwei Wochen später verschiebt sie den verabredeten Nachmittagstermin noch einmal um einige Stunden und schickt eine SMS mit dem Satz: „Bin leider auf ner Großbaustelle“. Abends sagt sie dann auf die Frage, wie ihr Tag war: „Ehrlich gesagt: Ich habe mich heute vor allem erholt.“ Sie ist gerade an der Ostsee. Kurzurlaub. Bei der Baustelle handelte es sich vermutlich um ein paar Sandburgen am Strand.

Illner – der Eindruck entsteht schnell – ist nicht besonders scharf darauf, interviewt, beschrieben oder analysiert zu werden. Sie meidet die großen Promi-Partys in Berlin. Kollegen erzählen, sie sei in der Öffentlichkeit noch zurückhaltender geworden seit sie mit René Obermann liiert ist, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom.

Das Paar sorgte zuletzt für Schlagzeilen, als Illner im Juni eine Talkshow zur Spitzel-Affäre bei der Telekom moderieren sollte. Dutzende Zeitungen zweifelten vor der Sendung mit dem Titel „Deutschland einig Spitzelland?“ an ihrer Unabhängigkeit. Was damals allerdings kaum jemand schrieb: Illner hat diese Sendung zunächst nicht gewollt.

Es war ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, der auf einer Talkshow zur Spitzelaffäre bestand. Er bot Illner an, sie an diesem einen Abend durch eine andere Moderatorin zu ersetzen. Das wiederum lehnte Illner ab.

Sie konnte nicht anders. Wenn sie einmal verzichtet hätte, wären die Fragen nach ihrer Unabhängigkeit immer wieder gekommen. Die Zeitschrift Stern stichelte schon im November über die Liason zwischen der Journalistin und dem Wirtschaftskapitän: „Wie soll sie nun die soziale Kälte der Renditejünger beklagen?“

Dass sie dazu durchaus in der Lage ist, hat sie inzwischen mehrfach bewiesen. Ihre Sendung zur Spitzelaffäre war trotzdem nur Mittelmaß, wenn auch bei weitem nicht so fürchterlich, wie es die vielen Artikel im Vorfeld erwarten ließen.

Die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit haben Illner stark beschäftigt. Am Ende eines langen Telefongesprächs kommt sie noch einmal auf das Thema zurück. Sie habe von Anfang an klare Grenzen gezogen. Natürlich würde sie René Obermann nie im Fernsehen interviewen. „Aber mir zu unterstellen, ich könne die Wirtschaft nicht mehr kritisch betrachten, ist absurd.“

Illner ist die einzige prominente Talk-Moderatorin, die ihre Sendung nicht von einer Produktionsfirma herstellen lässt, an der sie selbst beteiligt ist. Sie untersteht direkt der Chefredaktion. Das regele das ZDF so für alle aktuellen Sendungen, sagt sie. Und sie lege Wert darauf, dass  ihre  Mitarbeiter nicht gleichzeitig ihre Angestellten seien.

In zehn Jahren wolle sie noch immer eine Talkshow moderieren. So oft habe man das Format schon tot gesagt, dass es eigentlich gar keinen Zweifel gebe, dass Politiker, Lobbyisten und einfache Bürger sich auch dann noch zum politischen Streit vor der Kamera treffen.

Vielleicht moderiert sie 2018 aber auch Dauerwerbesendungen. In einem Fragebogen hat sie einmal angegeben, dass Dauerwerbeendungen ihre heimliche Leidenschaft seien. Darauf angesprochen, hört man Illner durchs Telefon glucksen. Manche Dinge im Leben, sagt sie, dürfe man nicht so ernst nehmen.

Über ralfgeissler

Journalist

01. September 2008 von ralfgeissler
Kategorien: Medien | Schreibe einen Kommentar

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