Der Getriebene

Yaqub Ibrahimi schrieb über Korruption, sexuellen Missbrauch, Waffen- und Drogenschmuggel in Nord-Afghanistan – dort, wo die Bundeswehr stationiert ist. Er hat sich mächtige Feinde gemacht und lebt derzeit im Exil. Im Oktober erhielt er den Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien.

journalist 11/2010

Er will zurück in das Land, in dem sein Bruder beinahe hingerichtet wurde. Wo Vergewaltigungen ungesühnt bleiben, aber auf Gotteslästerung die Todesstrafe steht. „Ich kann nicht ewig in einem ausländischen Versteck wohnen“, sagt Yaqub Ibrahimi, 29 Jahre alt, reich an Idealen und an Feinden. „Ich muss recherchieren. Zu Hause, in Afghanistan.“

Er sitzt im lila Strickpulli auf einem Ledersessel im sogenannten Herrenzimmer der Villa Ida in Leipzig. Hier, auf dem Mediencampus, hat er am Vorabend einen Journalistenpreis erhalten. Eine barocke Standuhr tickt, eine junge Frau fragt, ob er sein Mineralwasser mit viel, wenig oder ohne Sprudel wünsche. Als sie serviert, knarzt das Parkett. Für Ibrahimi ist ein Herrenzimmer ein ungewöhnlicher Ort für ein Interview. „Wo ich recherchiert habe, war immer Staub und Lärm“, sagt er und lächelt schüchtern.

Wer den vielleicht mutigsten Journalisten Afghanistans im Exil trifft, staunt über zwei Dinge: seine Zurückhaltung und seinen Optimismus. Ibrahimi hätte gute Gründe, an der Zukunft seines Landes zu zweifeln. Er schrieb dutzende Artikel über die Warlord-Strukturen, die sich unter der Bundeswehrpräsenz ausbreiten. Er recherchierte zu Waffenhandel, Drogenschmuggel und Menschenrechtsverletzungen. Vor drei Jahren erhielt er erste Morddrohungen. Vor einem Jahr musste Ibrahimi Afghanistan deswegen verlassen.

Trotzdem glaubt er, dass sein Land eine Demokratie werden kann. „Menschenrechte, Meinungsfreiheit – das alles ist möglich“, sagt Ibrahimi. „Aber der Westen kooperiert mit den falschen Leuten, mit den Kriegsfürsten, die natürlich immer erzählen werden, dass sie nicht an die Demokratie glauben.“

Vor zweieinhalb Jahren hat Ibrahimi an der Grenze zwischen Afghanistan und Tadschikistan einen Marktplatz entdeckt. Hinter hohen Mauern auf einer Insel im Fluss Panj boten Händler Teppiche an, Maulbeeren, Mandeln und Mangos. „Das eigentliche Geschäft fand aber hinter den Kulissen statt“, sagt Ibrahimi. „Kriminelle dealten russische Waffen gegen Heroin.“ Ein Kilogramm Drogen gegen zehn fabrikneue Gewehre. Die lukrativsten Geschäfte, schwärmte ein Händler, mache er mit den Taliban.

Der Marktplatz liegt am Rand des Einflussgebiets der deutschen Bundeswehr. Noch bevor Ibrahimi die Geschichte aufschrieb, erzählte er sie im Juni 2008 als Gast auf einer Konferenz der Stiftung für politisch Verfolgte in Hamburg. Neben ihm saß der damalige Verteidigungsminister Peter Struck. Teilnehmer berichten, der SPD-Politiker habe zum konkreten Fall geschwiegen. „Struck tat so, als ob er die Geschichte nicht gehört hätte und wich auf Nachfrage aus“, sagt Tillmann Schmalzried von der Gesellschaft für bedrohte Völker, der in Hamburg übersetzt hat.

Schmalzried kennt Ibrahimi seit etwa drei Jahren. „Er ist nicht nur sehr mutig, sondern auch ein journalistisches Naturtalent“, sagt der Menschenrechtsexperte. „In seinen Texten wertet er kaum, sondern interviewt so viele Akteure, bis sich die Täter selbst entlarven.“ Ibrahimi arbeite wie ein angelsächsischer Journalist.

So schrieb er über einen ehemaligen Mudschahid, der minderjährige Jungen in Mädchenkleider steckt, sie auf Festen tanzen lässt und anschließend vergewaltigt. „Das ist Teil unserer Kultur“, diktierte der Mann dem Reporter in den Block. „Manche Männer spielen mit Hunden, andere mit Frauen. Ich spiele gern mit Jungs.“ Später berichtete Ibrahimi über drei Vergewaltiger, die einer Bestrafung entgehen konnten, weil der Polizeichef mit ihnen verwandt war. Der Text sorgte für derartiges Aufsehen, dass Präsident Karzai sich einschaltete und den Polizisten entließ.

Vermutlich hat niemand ein so exzellentes Netzwerk an Informanten in Afghanistan wie Ibrahimi. „Wenn ich mit einem Drogenhändler reden will, gehe ich nicht direkt zu ihm“, sagt er. „Ich spreche mit seinem Umfeld, treffe mich mit seinen Leuten und es entsteht ein Kontakt.“ Natürlich sei das gefährlich. Aber es sei notwendig.

Seine Jugend verbrachte Sayed Yaqub Ibrahimi als Sohn eines Buchhändlers im Norden Afghanistans. Er las Goethe und Gorki, Nietzsche und Sartre. Mit Freunden diskutierte er über Foucault. „Unser Haus war voller Literatur, aber das hat mich nicht zu einem Journalisten gemacht“, sagt er. „Das geschah durch einen historischen Zufall.“

Er war gerade 20 Jahre alt, als die Nato die Herrschaft der Taliban in seinem Geburtsland zerbombte. Ibrahimi und seine Familie lebten damals im Exil im Iran. Nach dem Sturz der Islamisten kehrten sie in die nordafghanische Provinz Sar-i-Pol zurück. „Zum ersten Mal in der Geschichte meines Landes wurden Reporter gesucht“, sagt Ibrahimi. Er begann für die Lokalzeitung Die Neue Welt zu schreiben, um die alte Welt zu kritisieren.

Er wollte wissen, ob die afghanischen Kriegsfürsten ihr Versprechen halten würden, das sie Ende 2001 auf einer internationalen Konferenz auf dem Petersberg in Bonn gegeben hatten: den Aufbau eines auf Traditionen fußenden Rechtsstaates. Schon in einem seiner ersten Texte prangerte Ibrahimi Wahlbetrug durch die Anhänger des Milizenführers Raschid Dostum an. Das in London ansässige Institute for War & Peace Reporting wurde auf den jungen Autor aufmerksam. Fortan schrieb Ibrahimi viel für deren Internetseiten, die von Kanada und der EU gesponsert werden und wie eine Nachrichtenagentur funktionieren. Redaktionen in aller Welt können die Artikel übernehmen.

So erzielte auch die Geschichte eines Kommandanten, der ein elfjähriges Mädchen entführen ließ, internationale Aufmerksamkeit. Der Mann tauschte das Kind gegen einen Kampfhund bei seinem Vorgesetzten ein und wurde später befördert. Für den Artikel verlieh die Nationale Union italienischer Kolumnisten Ibrahimi den Titel „Reporter des Jahres 2008“.

Preisverleihung, 8. Oktober in Leipzig. Ibrahimi steigt im Veranstaltungssaal des Mediencampus auf eine hell ausgeleuchtete Bühne. Im Publikum applaudieren Innenminister Thomas de Maiziére und etliche Chefredakteure. „Ich hoffe, dass ich die Auszeichnung verdient habe“, sagt Ibrahimi leise. Oberbürgermeister Burkhard Jung überreicht ihm eine Miniatur, die einer Säule der Leipziger Nikolaikirche nachempfunden ist – der Kirche der Friedensgebete.

Während im Saal der Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien vergeben wird, rollen vor den Toren Polizeiautos auf und ab. Jeder Gast muss am Eingang seine Taschen durchleuchten lassen. Die massiven Sicherheitsvorkehrungen sollen allerdings nicht nur Ibrahimi schützen, sondern vor allem Kurt Westergaard. Der dänische Zeichner der Mohammed-Karrikaturen ist neben dem bulgarischen Journalisten Assen Yordanov der dritte Preisträger in diesem Jahr.

Wegen der Ehrung des Dänen war es vor der Verleihung zu empörten Reaktionen einiger Ehrengäste gekommen. Der iranische Regime-Kritiker Akbar Ganji reiste nach seiner Ankunft in Leipzig sofort wieder ab – erzürnt, weil ihn niemand vorab informiert hatte. Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi zeigte sich ähnlich enttäuscht und brandmarkte in einer Rede auf dem parallel stattfindenden Kongress Westergaards Karikaturen als „eine Form von Hass-Propaganda“.

Ibrahimi hatte weniger Probleme, sich mit Westergaard fotografieren zu lassen. In seiner Dankesrede sagte der afghanische Journalist, er könne verstehen, dass der Westen in den gewalttätigen Protesten gegen die Zeichnungen eine Form von Extremismus sehe. „Aber auch die Karikaturen waren extrem.“ Ibrahimi glaubt, Journalisten haben eine Verantwortung wie Politiker. Dieser Verantwortung sei Westergaard nicht gerecht geworden.

Vor drei Jahren ließ der afghanische Geheimdienst Ibrahimis jüngeren Bruder verhaften. Die Behörden warfen Sayed Pervez Kaambaksh vor, einen islamfeindlichen Text an seiner Universität verteilt zu haben. Der Student legte – womöglich unter Folter – ein Geständnis ab und wurde auf Grundlage der Sharia am 22. Januar 2008 zum Tode verurteilt.

„Mit Kaambakshs Verhaftung wollten die Warlords Druck auf mich ausüben“, sagt Ibrahimi. „Sie nahmen meinen Bruder, weil sie mich nicht stoppen konnten.“ Monatelang bemühte er sich um eine Revision des Urteils, sagte sogar ein Stipendium der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte ab, die ihm für ein Jahr ein sicheres Leben in Deutschland angeboten hatte, um ein Buch zu schreiben. Die UNO schaltete sich ein, US-Außenministerin Condoleezza Rice vermittelte, der britische Independent sammelte 100.000 Unterschriften gegen das Urteil. Nur in Deutschland war es gemessen an der Tatsache, dass sich die Verhaftung im Hoheitsgebiet der Bundeswehr abgespielt hatte, recht still.

Im Oktober 2008 wandelte ein Berufungsgericht in Kabul die Todesstrafe in zwanzig Jahre Gefängnis um. Ein knappes Jahr später – kurz nach Hamid Karzais Wiederwahl zum Präsidenten – kam Kaambaksh frei. „Er wohnt heute im Exil wie ich“, sagt Ibrahimi. Die Aufenthaltsorte kennen nur wenige, denn die Radikalen in Afghanistan haben Rache angedroht.

Über sein jetziges Leben bleibt Ibrahimi vage. Er lese viel, was die Zeitungen über Afghanistan schreiben. Aber die Texte decken oft nur die katastrophalen Ereignisse ab. „Explosionen, Attentate – so sieht uns der Westen“, sagt Ibrahimi. Fernab dessen gebe es aber ein normales Leben in dem Land, in dem immerhin 25 Fernsehprogramme und 100 Radiostationen senden sowie 400 Zeitungen erscheinen. Auf die Frage, ob das alles unabhängige Zeitungen seien, lächelt Ibrahimi. „Ich glaube nicht an unabhängige Medien. Irgendjemandem gehören sie immer. Aber es handelt sich tatsächlich vielfach um Nichtregierungsmedien.“

In einigen der afghanischen Zeitungen könne man von den Problemen beim Aufbau des Landes lesen. „Einer der großen Fehler des Westens war es, dass er auf die konsequente Verfolgung von Kriegsverbrechern verzichtet hat“, sagt Ibrahimi. Sein letzter großer Artikel über die Warlords erschien im Februar 2009. Er handelt von Massengräbern in der nordafghanischen Wüste Dasht-e-Laili. Die Kriegsfürsten ließen dort die Gebeine tausender Toter ausbuddeln und anschließend verschwinden. Die Gebeine könnten einmal ihr massenhaftes Morden beweisen – wenn Afghanistan doch noch ein Rechtsstaat wird.

Texte von Yaqub Ibrahimi stehen auf der Internetseite des Institutes for War and Peace Reporting.

Über ralfgeissler

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01. November 2010 von ralfgeissler
Kategorien: Medien | Schreibe einen Kommentar

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