Der Spielverderber

Früher war Hajo Seppelt Wettkampfschwimmer. Heute ist er einer der unbequemsten Sportjournalisten in Deutschland, der nicht nur in Funktionärskreisen, sondern zum Teil auch unter Journalistenkollegen umstritten ist. Seppelt ist Aufdecker und Eigenbrötler zugleich. Für die ARD wird er 2012 wieder als Dopingexperte von den Olympischen Spielen berichten.

 journalist, 12/2011

Es gab Zeiten, da wirkte Hajo Seppelt selbst wie gedopt. Er arbeitete unermüdlich, denn er wollte der Beste sein, der erste Enthüller der ARD in Sachen schmutziger Sport. Seppelt suchte deutsche Verbindungen zum spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes, er recherchierte zur Wiener Blutbank, erklärte in Fernsehinterviews so seltsame Medikamente wie Hydrochlorothiazid und verriet, was Testosteron noch so bewirkt – außer, dass es einen Mann zum Mann macht. Nebenbei drehte er Dokumentarfilme wie Geheimsache Doping oder Mission: Sauberer Sport.

Man konnte den Eindruck gewinnen, Seppelt vertraue jedem Versicherungsvertreter mehr als den Sportfunktionären. Wenn mal wieder ein Tour-de-France-Fahrer mit ungewöhnlichen Blutwerten ertappt wurde, donnerte Seppelt ins Mikrofon: „Alle haben geschwiegen, das ist mal wieder typisch. Es ist ein Kartell der Vertuscher, der Verschweiger und leider auch der Lügner.“ Und man fragte sich, ob es wirklich Liebe zum Sport war, die Seppelt Sportjournalist werden ließ. Falls ja, dann steckte er jetzt in einer Beziehungskrise. Aber lag das an ihm?

„Ich weiß, dass mir manche Kollegen nachsagen, von missionarischem Eifer getrieben zu sein“, sagt Seppelt. „Aber ich bin in dieser Hinsicht gelassener geworden.“ Der 48-Jährige lehnt sich im Restaurant des ARD-Hauptstadtstudios auf seinem Stuhl zurück, doch er sieht nicht lässig aus. Seppelt trägt ein bis zum Kragen zugeknöpftes, kariertes Hemd und löffelt eine Kartoffelsuppe. Vor den Fenstern versinkt Berlin in einer kalten Nacht, ein paar Jogger laufen an der Spree entlang.

Die vergangenen Monate hat Seppelt wenig gearbeitet, doch er will bald wieder loslegen. Ende Juli beginnen die Olympischen Sommerspiele in London, und Seppelt soll als ARD-Dopingexperte dabei sein – das haben die Verantwortlichen im November entschieden. „Die Recherchen beginnen schon viel früher“, sagt er, „denn gedopt wird ja in den Monaten vor den Wettkämpfen.“ Womöglich wird er schon bald wieder mit versteckter Kamera bei windigen Ärzten, zwielichtigen Apothekern und kriminellen Trainern vor der Tür stehen.

Für seine Arbeit wird Seppelt geachtet und gehasst, denn er vertritt in Sachen Doping eine sehr grundsätzliche Haltung. „Ich finde es bedenklich, dass wir immer neue Weltrekorde sehen wollen“, sagt er. „Der menschliche Körper hat eine Leistungsgrenze. Und die ist in vielen Sportarten erreicht.“ Es könne kein ewiges Höher-Schneller-Weiter geben. Auch der achte Platz bei Olympia sei eine immense Leistung.

Seppelt hält nichts vom Begriff Dopingsünder, weil er von den Strukturen und Hintermännern ablenke. Und er bezweifelt, dass Sportkommentatoren immer die nötige Distanz zu ihrem Berichterstattungsgebiet haben. „Manche kommentieren so begeistert und voller Bewunderung für die Athleten, dass kritisches Hinterfragen der Leistungen und tiefgründigere Recherchen oft zu kurz kommen“, sagt er. Der distanzierte Blick auf die kommerziellen Auswüchse des Spitzensports fehle ebenso.

Als Seppelt anfing, sich mit Doping zu beschäftigen, recherchierte er auch zu Kristin Otto, der ZDF-Moderatorin und einst erfolgreichen Schwimmerin aus Leipzig. „In der DDR wurde in vielen Sportarten systematisch gedopt“, sagt Seppelt, „junge Schwimmerinnen etwa bekamen männliche Hormone verabreicht, häufig ohne ihr Wissen.“ Er fand Zeitzeugen und Dokumente, die diesen Verdacht auch bei Otto erhärteten. Doch die sechsfache Olympiasiegerin bestreitet bis heute, vom Doping gewusst zu haben. Beim ZDF waren manche Sportredakteure ziemlich sauer über die Recherchen des ARD-Kollegen.

Seppelt hat früher selbst Wettkämpfe geschwommen. Als junger Mann war er dreimal West-Berliner Jahrgangsmeister. „Mangels Konkurrenz“, wie er sagt. Denn zweimal trat außer ihm niemand in seiner Altersklasse an. Später trainierte er ein kleines Schwimmteam in Berlin-Lichterfelde. Doch eigentlich wollte er Lehrer werden – oder Journalist. Schon als Schüler hatte er mit Mikrofon und Kassettenrekorder eigene Radiosendungen gebastelt und beim damaligen RIAS über Jugendsport berichtet. Nach dem Abitur begann Seppelt, in Berlin Sport und Sozialkunde auf Lehramt zu studieren, und schrieb nebenbei für den Tagesspiegel und die dpa.

Nach einem Praktikum beim Sender Freies Berlin (SFB) wurde er dort Mitarbeiter der Sportredaktion, brach sein Studium ab und durfte 1992 nach Barcelona: Olympische Sommerspiele. Seppelt kommentierte für die ARD Schwimmwettkämpfe. Davon verstand er etwas. Er saß am Beckenrand und rechnete in Millisekunden Siege und Niederlagen vor. Er machte in etwa das, was er heute an vielen Kollegen kritisiert: Wettkampfberichterstattung in einem werberelevanten Umfeld. Er war Teil des Systems. Doch das System wurde ihm fremd.

1995 traf er auf eine weinende Franziska van Almsick. Die Schwimmerin hatte bei der Europameisterschaft das Finale über 200 Meter Freistil verpasst. „Sie hat zu mir gesagt: ‚Ick will keen Superstar mehr sein‘“, erinnert sich Seppelt. Das habe ihn tief bewegt. Seine Zweifel wuchsen. „Ich habe den immensen Druck gespürt, der auf den Sportlern lastet“, sagt er. „Ich fand es zunehmend fraglich, dass schon Kin der nach darwinistischem Prinzip ausgewählt wurden, um sie zu Höchstleistern zu züchten.“

Es ist ein sonniges Novemberwochenende, als Hajo Seppelt das WDR-Funkhaus am Kölner Wallrafplatz betritt. Hier tagt das Netzwerk Recherche. Thema: Tunnelblick – Woran Recherchen scheitern können. Seppelt soll über seine Erfahrungen mit dem Radsportverband berichten. Bis die Podiumsdiskussion beginnt, hat er noch Zeit. Er setzt sich in eine Veranstaltung über Recherchen in radikalen Milieus. Es geht um Neonazis und Islamisten, die Blindheit mancher Ermittler und die Zuverlässigkeit von Informanten. Ernste Themen, doch das Podium lockert die Stimmung mit Ironie auf.

Der Saal lacht oft. Nur Seppelt verzieht keine Miene. Er sitzt in seinem Strickpullover mit verschränkten Armen in der letzten Reihe. Plötzlich fällt einem als Reporter auf, dass Seppelt seit der ersten Begegnung noch kein einziges Mal gelacht hat. Er wirkt oft unnahbar, als hätten ihn seine Recherchen hart, verschlossen und penibel gemacht.

14 Jahre hat Seppelt Schwimmwettkämpfe für die ARD kommentiert. Doch dann beschlossen sieben von neun Sportchefs, ihm den Job wegzunehmen. Eine E-Mail soll der Auslöser gewesen sein. Eine E-Mail, in der Seppelt 2006 die Jubelreportagen im ARD-Sport anprangerte und klagte, dass investigative Dopingberichterstattung „nicht erwünscht“ sei. Er hatte die Sätze einem Kollegen geschickt, der Auszüge über einen Newsletter verteilte, womit sie in die Hände des Arztes und Dopingkritikers Werner Franke gelangten. Dieser wiederum musste sich gerade vor Gericht verteidigen, weil er der ARD vorgeworfen hatte, Doping zu verharmlosen. Seppelts E-Mail legte er als Beweis für seine These vor.

Der Prozess endete mit einem Vergleich, was Seppelt nicht half. In der Presse war damals zu lesen, die Sportverantwortlichen hätten sich geärgert, dass ausgerechnet einer aus dem eigenen Haus dem Angeklagten als Kronzeuge diente. Seppelt verlor seinen Job – angeblich auf Drängen des damaligen Sportkoordinators Hagen Boßdorf. Offiziell hieß es, er solle sich nur noch auf Dopingrecherchen konzentrieren. Doch niemand der Verantwortlichen, sagt Seppelt, habe mit ihm vorher darüber auch nur ein Wort gesprochen.

Boßdorf will sich heute nicht mehr dazu äußern. Auch andere Beteiligte schweigen. Und Seppelt will verheilte Wunden nicht aufreißen. „Die Zeiten haben sich geändert“, sagt er. „Heute gibt es in der ARD ein größeres Interesse an kritischer Sportberichterstattung.“ Er lobt die Gründung der Dopingredaktion, die beim WDR angesiedelt ist, und der er seit 2007 selbst als festfreier Mitarbeiter angehört.

Trotzdem ist das Verhältnis zwischen Rechercheuren und Sportkommentatoren kompliziert. Wenn Seppelt als Dopingexperte zu den Olympischen Spielen fährt, dürften die meisten da rauf hoffen, dass er nichts herausfindet. Denn sobald es einen Dopingverdacht gibt, sagen Sponsoren ab, sinken die Einschaltquoten und der Sender muss sich fragen lassen, warum er so viel Geld für die Übertragungsrechteausgibt. Seppelt ist ein Spielverderber – weil er auf die Regeln pocht.

Selbst unter kritischen Sportjournalisten gilt er als Einzelkämpfer. Von sechs angefragten Fernsehkollegen war kein einziger bereit, öffentlich über Seppelt zu sprechen.

Es ist früher Nachmittag, als in Köln Seppelts Podiumsdiskussion beginnt. Der Raum ist voll, einige Zuschauerlümmeln auf dem Fußboden. Zunächst läuft ein Film, in dem es um seine Recherchen zu Alberto Contador geht. Seppelt war sich im Herbst 2010 nahezu sicher, dass der Tour-de-France-Sieger gedopt war, denn er hatte konkrete Hinweise auf positive Tests erhalten. Seppelt flog in die Schweiz zum internationalen Radsportverband UCI, um eine Bestätigung zu erbitten. Er wurde abgewiesen.„Ein Sprecher hat uns angeschrien: Warum macht ihr unseren Sport kaputt?“, erzählt Seppelt.

Mangels Bestätigung entschied die Redaktion, die Story nicht zu bringen, und Seppelt fuhr am Abend nach Berlin zurück. In der Nacht räumte die UCI dann doch per Pressemitteilung ein, dass Alberto Contador positiv auf Clenbuterol getestet worden sei. „Es war die Flucht nach vorn“, sagt Seppelt. „Die Funktionäre hatten nach unserem Besuch Angst, dass die ARD jeden Moment über den Fall berichten könne.“ Es war eine gescheiterte Recherche– und doch eine geglückte. Denn die Nachricht war raus. Contador wurde vorläufig gesperrt.

Seit Seppelt keine Schwimmwettkämpfe mehr kommentiert, beschäftigt er sich fast nur noch mit Doping. Der Tagesspiegel schrieb, Seppelt erinnere dabei an den starken Raucher, der zum militanten Nichtraucher geworden sei, benehme sich wie eine Mischung „aus Messias und Scharfrichter“.

Einmal richtete er wohl etwas früh. Im Januar 2008hatte Seppelt per Pressemitteilung verkündet, dass 20deutsche Wintersportler Kunden in einem Wiener Labor für Blutdoping gewesen sein könnten. Eine Nachrichtenagenturmachte aus dem Verdacht eine Tatsache, und ein Sturm brach los. Alle wollten von Seppelt die Namen hören. Doch er konnte nicht liefern.„Die Spur war richtig“, sagt Thomas Kistner, Sportjournalist bei der Süddeutschen Zeitung. „Dass es in Wien eine international vernetzte Doping-Tankstelle gab, steht fest.“ Und natürlich könne man fragen, warum die deutschen Wintersportler davon nichts gewusst haben wollen. Kistner verteidigt Seppelt. Andere fragen, ob die E-Mail vor Abschluss der Recherchen klug war. „Durch das Herausposaunen wurden womöglich Informanten verschreckt und das Tor zur Wahrheit vielleicht wieder geschlossen“, sagt einer, der nicht genannt werden will.

Seppelts neuester Dokumentarfilm sollte ursprünglich kein Dopingfilm werden. Er wollte den Sport in Nordkoreazeigen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Robert Kempe buhlte er zwei Jahre lang beim Kulturattaché in Berlin um ein Visum. Im Frühjahr kam die Genehmigung.„Die sechstägige Reise war für mich das intensivste Erlebnis in 26 Jahren Journalismus“, sagt Seppelt. Die Autorenhaben eine verstörende Dokumentation gemacht über ein graues Land mit leeren Ausfallstraßen und gehorsamen Menschen – und am Ende ist es wieder ein Dopingfilm geworden.

Seppelt und Kempe waren schon zurück in Deutschland, als das nordkoreanische Frauenfußballteam während der Weltmeisterschaft im Juli positiv auf verschiedene verbotene Substanzen getestet wurde. Das Themaholt Seppelt immer wieder ein. „Sport ohne Doping ist so realistisch wie Wirtschaft ohne Korruption oder wie Straßen verkehr ohne Unfälle“, sagt er. Nur dass über Doping in Sportlerkreisen ungern gesprochen werde. Die Funktionäre steckten in einem Dilemma. „Ein Verband, der mit strengen Kontrollen reihenweise Doper auffliegen lässt, steht in der Öffentlichkeit nicht in erster Linie als konsequenter Bekämpfer der Manipulation da, sondern vor allem als Sportorganisation, die ein Dopingproblem hat.“

Noch nie ist es einem Journalisten gelungen, einen Sportler des Dopings zu überführen. Auch Seppelt nicht. Die entscheidenden Beweise lieferten immer die Analytikerin den Laboren. Trotzdem wird Seppelt weiter recherchieren. Mit versteckter Kamera und einem Netz aus Informanten. Er kann gar nicht anders. „Wissen Sie, welches die einzige Sportart ist, in der ich noch nie von einem Dopingverdacht gehört habe“, fragt er und macht eine Pause.„Trampolinspringen.“

Über ralfgeissler

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06. Dezember 2011 von ralfgeissler
Kategorien: Medien, Sport | Schreibe einen Kommentar

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