Mut

Erstmals in seiner Geschichte bekommt der Spiegel einen Art Director. Den Job übernimmt im Oktober Uwe C. Beyer. Der Mediendesigner hat schon für den Stern, ZEIT Wissen und das Handelsblatt gearbeitet. Bevor er beim Spiegel anfängt, muss er allerdings noch ein Problem loswerden.

journalist, August 2012

Uwe C. Beyer war noch ein Teenager, als er Höhenangst bekam. „Sie war plötzlich da“, sagt er und in seiner Stimme klingt noch immer Verwunderung. Schließlich ist er in einem Hochhaus aufgewachsen, weit oben über Braunschweig mit einem Balkon, von dem aus er sein Stadtviertel manchmal mit Pink Floyd beschallte: The Happiest Days Of Our Lives – der Song mit dem Hubschrauber-Intro. Die Passanten schauten hoch und suchten den Helikopter. Beyer beugte sich grinsend über die Brüstung. Kein Problem, damals.

Heute meidet er Balkone. Und als der Mediendesigner Anfang des Jahres das erste Mal das neue Spiegel-Gebäude in Hamburg betrat, dachte er sich: Hier könnte ich niemals arbeiten. „Sieh Dir nur diesen Wahnsinn an“, sagt Beyer. Der 44-Jährige läuft durch die Eingangshalle – ein moderner Bau mit viel Glas, viel Naturstein, und vor allem viel Raum. In schwindelerregender Höhe verbinden schmale Brücken die Gebäudeflügel. „Dort oben kann ich nicht lang gehen“, sagt Beyer. Doch womöglich wird er bald müssen.

Im Oktober beginnt Beyer als Art Director beim Spiegel. Chefredakteur Georg Mascolo hat ihm den Job angeboten. Beyer sah die Herausforderung, die Möglichkeiten und sagte zu. „Es gibt hier inzwischen einiges zu tun“, erzählt er. Da sei die Bildsprache: Der Spiegel zeige zu oft Zweckbilder. „Fast jedes Heft hat ein Foto mit Angela Merkel neben Philipp Rösler. Das kann doch keiner mehr sehen.“ Er wolle aussagekräftige Fotos besser platzieren, Alibifotos rauswerfen. „Das Potential ist da. Hier sitzen die besten Bildredakteure und Grafiker Deutschlands, und ich werde ihr erster Lobbyist im Haus.“

Deshalb macht Beyer nun eine Höhenangst-Therapie, zwanzig Sitzungen. „Der neue Job war ein guter Anlass“, sagt er. „Weil ich offen darüber spreche, erzählen mir beim Spiegel auch ständig Leute von ihren Phobien.“ Er blickt dem gläsernen Fahrstuhl nach. Ein großer Mann in weißem Hemd mit grauem Anzug, der am Handgelenk eine dicke Casio-Pro-Trek-Digitaluhr aus Plastik trägt. „Die ist so brutal, dass ich sie wieder schön finde“, sagt er. Andere Designer entscheiden sich für Junghans oder Rolex. Doch Beyer ist ein Ästhet ohne Allüren, einer der Umtriebigsten seines Fachs – und irgendwie auch ein schräger Vogel.

Mit seinem Hamburger Büro Freihafen hat Beyer das Manager Magazin beraten, Layouts für TV Movie, ZEIT Wissen und die Bravo entworfen. Er war Art Director beim Zeit Magazin, gestaltete die Internetseiten von Spiegel Online, Financial Times Deutschland und Stern mit, entwickelte die iPad-Apps fürs Handelsblatt und den Spiegel. Dabei hat Beyer weder studiert noch eine Grafikausbikdung absolviert, sondern sich vieles selbst beigebracht. Seine Biographie zeigt: Man kann es mit Talent und Chuzpe auch ohne Abitur weit bringen – sogar bis zum Gastprofessor an die Universität Essen, wo er ein Semester lang „Editorial Design“ gelehrt hat.

„Der Spiegel ist ja kein optimistisches Blatt“, sagt Beyer. „Lies eine Ausgabe, danach bist Du traurig.“ Er fände es gut, wenn sich das ändern würde und will sich bei dem Magazin nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich einbringen. Man ahnt, dass manche Redakteure darüber nicht begeistert sein werden. Beyer ist kein Diplomat, aber eine ehrliche Haut und manchmal ein Sprücheklopfer. „Zu Rudolf Augsteins Zeiten hatte das Kantinenpersonal mehr Einfluss als die Grafikabteilung“, sagt er. Inzwischen sei das besser. Vor 16 Jahren hat er schon einmal für das Blatt gearbeitet. Damals verpasste er dem Spiegel sein heutiges Aussehen. Dass die Optik seitdem fast unverändert blieb, spricht für Beyers Qualitäten. Seine Entwürfe trotzen den Moden. „Mit denen ist es doch so: Pullover und Jeans gehen immer, egal was gerade aktuell ist“, sagt er. „Dann bin ich eben ein Schwarzer-Pullover-Designer.“

Seit Wochen grübelt Beyer nun über Veränderungen nach, über Feinheiten, die den Spiegel optisch verbessern, seine Wiedererkennbarkeit aber nicht gefährden würden. Regelmäßig trifft er sich mit Grafikern des Hauses, obwohl sein Job offiziell erst im Oktober beginnt. „Ich will mit Schwung kommen“, sagt er, „bevor ich im Treibsand der Umstände versacke.“

Geboren wurde Uwe C. Beyer 1967 in Braunschweig. Seine Mutter arbeitete bei Siemens, sein Vater im Westermann-Verlag. Sohn Uwe besuchte die Realschule, schwärmte für die Fußballer von Eintracht Braunschweig und verärgerte seine Kunstlehrerin. In einem Aufsatz verriss er die Skizze eines Stiers von Pablo Picasso mit den Worten, jeder Junge könne so etwas zeichnen, die Skizze sei eines Meisters unwürdig. Das gab mal wieder eine Fünf. Sein grafisches Talent blieb der Lehrerin wohl verborgen, seinen Freunden nicht.

Zu denen gehörte Olaf Stelter, heute Verleger des Braunschweiger Magazins Subway. Gemeinsam haben sie als Teenager eine Schülerzeitung gegründet. „Uwe nahm ein weißes Blatt, einen Stift und dann zeichnete er mal schnell das Titelbild mit Anreißern und Logo“, erinnert sich Stelter. Ein anderes Mal habe der Freund mit durchsichtigem Klebeband Zigarettenasche aufgenommen und die Streifen als Hintergrund für Seitenrubriken eingesetzt. „Er war unglaublich ideenreich“, sagt Stelter, „ein Stand-Up-Kreativer.“

Die zwei Teenager verband auch derselbe Musikgeschmack. Tupenny Rush nannte sich ihre erste Band. Beyer stand am selbst gebauten Schlagzeug, das ein halbes Kinderzimmer füllte und sang von New York: „Down in the subway under the town, small kids are playing Watership Down, and the old man at the corner is talking with a fly, talking about the weather, Prince Charles and Lady Di.“ Der Text aus Beyers Feder erinnert vage an Bruce Springsteen. Stelters Nachbarin, eine Musiklehrerin, fand es klasse. „Sie hat mal zu meinen Eltern gesagt, besser die Zwei machen Musik, als dass sie trinken und rauchen“, sagt Stelter. Geraucht und getrunken haben sie natürlich trotzdem.

Nach dem Realschulabschluss begann Beyer eine Ausbildung als Verlagskaufmann bei Westermann, dem Arbeitgeber seines Vaters. Dort traf er auf einen Grafiker, der ihm einige Grundlagen beibrachte. „Das war mein Glück“, sagt Beyer, „dass er sich um mich gekümmert hat.“

Er rollt jetzt in einem weißen Landrover Defender durch Hamburg. Der Geländewagen widerspricht allen Umweltzielen der Europäischen Union und darf nur noch zwei Jahre gebaut werden. „Aber das ist wenigstens noch ein Auto“, sagt Beyer. „Hör‘ nur mal den Klang der Scheibenwischer.“ Ein Motor surrt, während Beyer die Blätter demonstrativ hin und her wischen lässt. Er braucht das Fahrzeug, um zu seinem Haus zu kommen, das irgendwo bei Hamburg an einem einsamen Waldweg liegt. Jetzt will er aber erst einmal ins Büro.

Auf der Fahrt plaudert er über sein Segelboot, seine Kinder und seinen Namen, der einer Karriere abträglich sei. „Uwe, das klingt doch, wie wenn man ein Kind im Keller erschreckt: Huhwuäh“, sagt er und lacht. Das C in der Mitte von Uwe C. Beyer stehe für Christof. „Ich weiß, so ein Mittelinitial hat etwas furchtbar Eitles.“ Aber er benutze es, um nicht mit einem Uwe Beyer verwechselt zu werden, der früher in Hamburg Supermarkt-Werbung gemacht hat. Er parkt im Stadtteil Sankt Georg, wenige Schritte von seinem Büro entfernt an einer Stelle, die womöglich noch im Halteverbot liegt. So genau lässt sich das nicht erkennen. „Da hinten kostet Falschparken 40 Euro, hier nur 10“, sagt Beyer und schlendert davon.

Er wäre womöglich noch heute Verlagskaufmann, wenn ihm nicht mehrere Zufälle geholfen hätten. Nach seiner Ausbildung beginnt Beyer bei der Schlüterschen Verlagsgesellschaft. „Doch niemand hat meine grafischen Entwürfe dort für voll genommen“, sagt er. Er wird zum Zivildienst eingezogen, macht an der Heimvolkshochschule Goslar Medienprojekte. Anschließend zieht es ihn nach Bremen, wo er für Mercedes Autos bauen will. Doch der Personalchef sieht die Zeugnisse, die Beurteilungen und schickt ihn wieder weg. Er solle etwas machen, was seinen Talenten entspreche. Wenn er in sechs Monaten nichts gefunden habe, dürfe er wieder kommen.

Dann ruft sein alter Mentor an, der Grafiker von Westermann. Er sucht mittlerweile für ein Tochterunternehmen des Jahreszeiten Verlags nach Layoutern, die an Macintosh-Computern arbeiten können. Beyer hat noch nie vor einem Macintosh gesessen, behauptet aber das Gegenteil. So landet er in Hamburg, arbeitet sich im Akkord im Desktop Publishing ein und gestaltet Magazine wie Brot und Backwaren, Lebensmitteltechnik oder Die Bar. Regelmäßig kommen hübsche Kolleginnen zu Besuch, denn im gleichen Haus sitzen die Redaktionen von Für Sie und Petra, die sich zeigen lassen wollen, wie Zeitschriften an Computern entstehen.

Mitte der neunziger Jahre hat Beyer bereits einen guten Ruf in der Hamburger Medienszene. Manfred Bissinger holt ihn ins Gründungsteam der Wochenzeitung Die Woche. „Ich erinnere mich gut, dass er immer die spitzesten Schuhe trug, die man sich vorstellen kann“, sagt Bissinger. Beyer habe sich als ungemein kreativ erwiesen, aber auch noch viel gelernt in der Redaktion. 1995 erhält Die Woche die Goldmedaille des Art Directors Club. Drei Mal wird sie als Worlds Best Designed Newspaper ausgezeichnet. Und trotzdem muss das Blatt 2002 wegen zu geringer Auflage schließen. „Die Woche konnte nicht schreien, nur schön sein“, sagt Beyer. Manchmal habe ihr wohl die Relevanz gefehlt.

Er steigt die Treppe hoch zu seinem Grafikbüro, das er 1997 unter dem Namen Freihafen gegründet hat. Anfang des Jahres ist die Firma mit Partnern zur Mediengruppe Hamburg fusioniert. Der Name klingt größer, als die Firma tatsächlich ist. In einem Vorzimmer ist Platz für acht Mitarbeiter, daneben hat Beyer sein kleines Chefbüro. „Nicht repräsentativ, aber kuschelig“, sagt er. An der Wand hängen die Fotos seines Lieblingsfotografen Jan Riephoff. Auf einem Regal liegen Zeitschriften, die er mitgestaltet hat: ein PC-Magazin, die Kundenzeitschrift von Nissan, das Fitnessmagazin Vital, die Frauentitel Für Sie und Laura.

Beyer wollte erst nicht für bunte Heftchen arbeiten, aber dann ist er voll eingestiegen. „Ich bin mit einer Tüte über den Kopf in die Redaktion von Laura gelaufen, damit mich bloß keiner sieht. Und dann waren die alle total sympathisch und ich habe zwei Jahre lang wöchentlich mit am Titel gebaut“, sagt Beyer. Er nennt die Gestaltung der Frauenzeitschrift eine hohe Kunst. „Die stehen in einem knallharten Wettbewerb. Du musst viel kreativer sein als für ein schönes Kundenmagazin, bei dem es keine Rolle spielt, ob es wirklich gelesen wird.“ Noch schwieriger seien Computer-Magazine. „Das ist wie bei Aale-Dieter. Die müssen immer noch etwas obendrauf legen, damit sie wahrgenommen werden. Noch ein Gratis-Spiel auf CD und eine kostenlose Antiviren-Software und dann noch eine DVD mit einem Spielfilm dazu.“

Beyer liebt Abwechslung. „Designen ist wie Bodybuilding“, sagt er. „Wenn Du immer das Gleiche machst, bekommst Du starke Oberarme, aber dürre Beine.“ Er würde gern mal Etiketten für Wein entwerfen und sich dann in Flaschen auszahlen lassen, sagt er. Manchmal designt er Buch-Cover. Der Schrifsteller Walter Kempowski beauftragte ihn vor seinem Tod mit einem Umschlag zum Gedichtzyklus „Langmut“. Beyer ist großer Kempowski-Fan. Mehrfach haben sie sich getroffen, sind zusammen nach Rostock zum Geburtshaus des Schriftstellers gereist. „Sie sind schon eine lustige Type“, soll Kempowski zu Beyer gesagt haben. Das Zitat steht auf seiner Internetseite unter der Rubrik „Auszeichnungen“.

In Beyers Bücherstapel stecken Titel von Hellmuth Karasek, Henryk M. Broder, Wolfram Weimer und Stefan Aust. Für den ehemaligen Spiegel-Chefredakteur hat Beyer vor knapp drei Jahren eine Zeitschrift unter dem Arbeitstitel Woche entwickelt, die mangels Investor nie auf den Markt kam. Wenn Aust über Beyer spricht, ist er noch voll des Lobes. „Beyer macht keinen Schnickschnack,“ sagt er, sondern er denke journalistisch, stelle das Produkt in den Vordergrund. Für das Zeitschriftenprojekt habe er sehr gute Arbeit geleistet. Wenn man dann einwendet, dass es doch bedauerlich sei, dass es das Endprodukt nie an die Kioske schaffte, entgegnet Aust: „Warten Sie mal ab.“ Der Mann weiß, wann der richtige Moment für Andeutungen ist.

Wenn Beyer im Oktober Art Director beim Spiegel wird, bleibt jedenfalls nur noch wenig Zeit für Projekte. Er will Geschäftsführer der Mediengruppe Hamburg bleiben, fürs Tagesgeschäft sind dann aber andere zuständig. „Das hier ist die Frau, die sich von der Praktikantin zu meiner Gehirnhälfte hochgearbeitet hat“, sagt Beyer und stellt Rike Sattler vor. Die junge Kollegin grinst. „Ich arbeite gerade daran, seine Stimme am Telefon zu imitieren“, sagt sie. Viele Projekte der Vergangenheit haben sie zu Zweit bestritten. Beyer sprühte vor Ideen, Sattler sortierte sie.

Im Juni haben sie zwei Preise gewonnen. Mal wieder, kann man sagen. Diesmal gab es Gold und Silber von einem Branchendienst für die Gestaltung des Kundenmagazins einer Privatbank. Das Heft heißt Valua, was im Finnischen für „fließen“ oder „strömen“ steht. Doch interessanter als der Heftname ist die Titelgeschichte. Ein Feuerwehrmann blickt entschlossen in die Kamera. „Mut“ steht auf dem Schwarz-Weiß-Bild. Mut ist jetzt das große Thema für Uwe C. Beyer. Er hat noch zwei Monate für seine Höhenangst-Therapie. Dann geht es hinauf.

 

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01. August 2012 von ralfgeissler
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