Aufstieg á la Strunz

Was haben sie ihm da angetan? Der ehrgeizige Claus Strunz hat im Oktober als Chefredakteur beim regionalen Hamburger Abendblatt begonnen. Zuvor leitete er die Bild am Sonntag mit 1,7 Millionen Auflage. Ein Karriereabstieg, der keiner sein soll.

journalist 10/2008

Er hätte einfach gehen können. Alles hinschmeißen und mal Pause machen. Er hätte vor den Vorstand des Axel Springer Verlages treten und sagen können: „Regionalliga – das ist mir ’ne Nummer zu klein.“ Das wäre hochnäsig gewesen, aber ehrlich. Die Kollegen hätten zu ihm aufgeschaut und gesagt: „Sie haben noch Arsch in der Hose.“ Aber Claus Strunz hat sich anders entschieden. Nun lästern sie hämisch: Abstieg, Karriereknick, Strafversetzung.

Claus Strunz bekommt sein Gehalt noch immer von der Axel Springer AG. Gerüchteweise sogar mehr als früher. Doch der 42-Jährige darf sich nicht länger Chefredakteur der Bild am Sonntag nennen, sondern ist ab Mitte Oktober Chefredakteur des Hamburger Abendblatts. Beide Zeitungen trennt eine Auflage von fast 1,5 Millionen Exemplaren. Die BamS wird auch im Kanzleramt gelesen. Das Abendblatt hat schon auf Sankt Pauli Absatzprobleme. Das klingt nach Degradierung.

„Ich sehe meinen Wechsel eher als Aufstieg“, sagt Claus Strunz. „Die Zukunft des Journalismus liegt vor allem im Regionalen.“ Er sitzt in einem kleinen Büro im Hamburger Springer-Gebäude auf grauer Auslegeware vor einem Abendblatt-Poster mit der Aufschrift „Sankt Aufsmauli – Wie unsere Stadtteile wirklich ticken.“ Das Zimmer dient ihm nur vorübergehend als Arbeitsplatz. Erst am 15. Oktober wird er das Büro des Chefredakteurs beziehen.

Das einzig Persönliche in diesem Raum ist eine kleine Litfaßsäule aus Pappe, die auf dem Schreibtisch steht. Ein aufgeklebtes Miniaturposter zeigt Strunz’ Gesicht über lauter Hasen, die ihm große Herzen zuwerfen. „Das haben mir die BamS-Frauen zum Abschied geschenkt“, erzählt Strunz, nimmt die Säule und dreht sie in seinen Händen. Beim Überreichen des Geschenks haben ihm die Kolleginnen gesagt, er bleibe ihr Chefredakteur der Herzen. Das hat ihm gefallen.

Strunz – so erzählt der Flurfunk in Berlin – ist überaus charmant, witzig, aber auch eitel. Ein bisschen dandyhaft. Das Schöne an ihm ist, er macht daraus keinen Hehl. Eitelkeit sei nun mal eine Triebfeder im Journalismus.

„Wenn die Bild am Sonntag Kontakt zur Kanzlerin sucht, bekommt sie ihn meistens schnell. Als deren Chefredakteur war ich auf Frau Merkels Liste der Journalisten sicher unter den Top Ten“, sagt er betont lässig und lehnt sich in seinem Sessel zurück. „Es stört mich nicht, dass ich jetzt vielleicht auf Platz 18 abrutsche. Das Hamburger Abendblatt wird auch dort mit kreativen Ideen und bestem Journalismus so auf sich aufmerksam machen, dass sich die Kanzlerin dafür interessiert.“

Strunz unterstreicht die Worte mit großen Gesten. Er trägt ein weißes Hemd zu dunklem Anzug. Die halblangen Haare nach hinten gestreift. Ein gewinnender Typ. Freundlich, wenn auch nicht warmherzig. Und ausgesprochen kokett. „Stellen Sie sich mal vor, ich wäre zum Spiegel gewechselt“, sagt er. „Der Spiegel hat weniger Auflage als Bild am Sonntag. Wäre das in Ihren Augen dann auch ein Abstieg?“

Strunz schwärmt, dass er jetzt wieder intensiver politische Themen bearbeiten kann. Täglich statt wie bisher wöchentlich – und ohne darüber nachdenken zu müssen, ob Dieter Bohlen seiner Freundin neue Brüste finanziert hat. „Das wäre bei Bild am Sonntag eine Seite-1-Geschichte. Und das habe ich dort auch sehr gern gemacht. Aber jetzt beginnt eine neue Phase. Ich halte es da mit der amerikanischen Regel: Was Du in acht Jahren als Präsident nicht geschafft hast, wirst Du vermutlich auch später nicht mehr erreichen. Der Wechsel kam für mich also gerade zur rechten Zeit.“

Er beugt sich auf seinem Stuhl nach vorn, um seinen Worten mehr Kraft zu verleihen. Trotzdem wird man den Rest des Tages den Eindruck nicht los, dass er sich seinen neuen Job schönredet.

Seit Oktober 2000 war Strunz Chefredakteur der Bild am Sonntag. Damals hatte ihn der Verlagsvorstand als Übergangslösung ernannt. Darauf angesprochen lacht er: „Von meiner Zeit bleibt auf jeden Fall die Gleichung: Interimistisch ist gleich acht Jahre.“

Unter Strunz’ Leitung wurde die Sonntagszeitung sanfter, serviceorientierter – manche sagen langweiliger. Nach einem Relaunch vor vier Jahren versprach Strunz zwar „mehr Bums in der BamS“. Doch insgesamt hielten sich die Krawallgeschichten, die anschließend im Bildblog zerpflückt wurden, in Grenzen. Insgesamt pflegte Strunz innerhalb der Bild-Gruppe einen vergleichsweise anständigen Stil.

Selbst der Enthüllungsjournalist und Springer-Feind Günther Wallraff fand im September 2003 lobende Worte für Strunz. „Sie passen gar nicht rein bei Bild“, hat Wallraff in der N24-Talkshow „Was erlauben Strunz?!“ zu ihm gesagt. Und er könne ihn sich gut als Pianisten vorstellen. Bedauerlich war nur, dass die leisen Töne des BamS-Chefs immer weniger Käufer fanden. Als Strunz sein Amt antrat, setzte die Zeitung jeden Sonntag 2,5 Millionen Exemplare ab. Heute sind es noch 1,7 Millionen.

Strunz selbst findet diese Zahlen nicht dramatisch. „Wir haben bei Bild am Sonntag den Gewinn gesteigert und die größte Reichweite aller Zeiten geschafft. Das sind die entscheidenden Fakten.“ Tatsächlich hätte ihn nur wegen der sinkenden Auflage niemand rausgeworfen. Es gab andere Probleme. Strunz, der Pianist, harmonierte nicht besonders mit dem Trommler des Verlags: Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, dessen Einfluss immer größer wurde.

Strunz wollte deshalb von sich aus gehen. Schon vor zwei Jahren – so erzählt man sich bei Springer – habe er dem Vorstand signalisiert, dass er sich innerhalb des Hauses einen Jobwechsel vorstellen könne. Der Feingeist sah seine Zukunft nicht im Boulevard. Dass ihm als Alternative eine durchschnittliche Regionalzeitung vorschwebte, darf man dagegen ausschließen. Denn bislang war es in der Karriere des ehrgeizigen Journalisten immer nur bergauf gegangen.

Schon mit 14 Jahren schrieb Strunz Sportberichte für den Nordbayerischen Kurier. Während seines Studiums der Politikwissenschaft in München besuchte er vormittags die Vorlesungen und war anschließend bis in die Nacht bei der Abendzeitung anzutreffen. Dort wurde der damalige Chefredakteur Uwe Zimmer auf ihn aufmerksam und beförderte Strunz zum Chef vom Dienst. Da war er gerade 28 Jahre alt.

„Viele Kollegen fragten mich damals, wie können Sie einem so jungen Mann nur so viel Geld bezahlen“, erinnert sich Zimmer heute. „Aber Strunz hatte große Stärken. Er war voller Ideen, konnte sich durchsetzen und war mit einem festen Willen ausgestattet. Er war jeden Pfennig wert.“ Zimmer wurde für Strunz zum Ziehvater. Er schlug Abendzeitungs-Verleger Johannes Friedmann vor, den jungen Mann zu seinem Stellvertreter zu ernennen. Doch der lehnte müde ab: „Gehen Sie mir weg mit Ihrem Strunz.“

Mitte der 90er Jahre besuchte dann ein damals 33-jähriger Journalist die Abendzeitung. Nachts schlief er im „Mandarin Oriental“ – dem teuersten Hotel der Stadt – und tagsüber suchte er nach Talenten. Der Journalist war kein geringerer als der heutige Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner, der gerade Chefredakteur der Hamburger Morgenpost geworden war. Er bot Strunz einen Job an. Doch der lehnte dankend ab. „Weil damals nicht klar war, welche genauen Aufgaben ich in Hamburg bekommen soll“, sagt Strunz heute. „Weil er seinem Ziehvater Zimmer zu dankbar und zu verbunden war“, sagt ein Kollege.

Die Wahrheit liegt vermutlich dazwischen. Strunz bewies jedenfalls Treue. Er blieb noch zwei Jahre bei der Abendzeitung – bis Döpfner, inzwischen zum Chefredakteur der Welt aufgestiegen, ein zweites Mal fragte. Auch diesmal ließ sich Strunz mit der Antwort Zeit. „Ich habe mir damals auf Döpfners Bitte einige Ausgaben der Welt angesehen“, erzählt er. „Und dann fragte er mich, wie ich das Blatt so fände. Ich habe ihm geantwortet: Auf mich wirkt es zu wenig emotional.“ Er habe Döpfner sogar an den Kopf geworfen, die Zeitung sähe aus, als hätten einige Welt-Redakteure zu wenig Sex. Diesen Satz will er dann aber lieber wieder gestrichen wissen.

Ob die unverschämten Worte nun gefallen sind oder nicht – Döpfner vertraute Strunz die Wiedereinführung der Wochenendbeilage „Die literarische Welt“ sowie die kommissarische Leitung des Feuilletons an. Im Oktober 1999 wurde er sogar stellvertretender Chefredakteur. Strunz spricht noch heute von der „beglückendsten und inspierendsten Zeit“ seiner Laufbahn. Er schwärmt davon, wie sie daran gearbeitet haben, aus dem erzkonservativen Blatt eine moderne überregionale Medienmarke zwischen FAZ und Süddeutscher Zeitung zu machen. „Als ich bei der Welt ankam, war vieles für mich neu. Zwei Jahre später war die ganze Welt neu“, sagt Strunz und ist zum ersten Mal sprachlos.

Man liegt sicher nicht falsch mit der Vermutung, dass Strunz am liebsten wieder zur Welt gewechselt wäre: als Chefredakteur – mit Thomas Schmid als Herausgeber. „Darauf hat er hingearbeitet“, sagen Vertraute. Doch der 63-Jährige Schmid wollte sich die Macht mit dem mehr als zwanzig Jahre jüngeren Strunz offenbar nicht teilen. Und so wurde dieser – mangels Alternativen – zum Hamburger Abendblatt abkommandiert.

Er hätte zu diesem Vorschlag Nein sagen können, den Verlag verlassen und darauf bauen können, dass ein anderes Medienunternehmen seine Kenntnisse nutzen will. Doch Strunz bewies wieder Treue. Niemandem verdankt er so viel wie Verlagsvorstand Döpfner. Deshalb ging er – mehr oder weniger freiwillig – nach Hamburg, wo er ohnehin ein Haus hat und seine Frau sowie die beiden Töchter leben. Doch das Private war für ihn kein Motiv. Er selbst spricht von einem „kollateralen Nutzen“, der sich durch den Umzug ergeben habe und der seine Familie natürlich sehr freue.

Nun warten sie beim Hamburger Abendblatt darauf, was der Neue vorhat. Die Tatsache, dass Strunz mit seinem Amtsantritt Sprecher eines neu gegründeten Chefredakteurs-Gremiums wird, das die Zusammenarbeit der Regional- und Abo-Zeitungen koordinieren soll, lässt manchen Redakteur Schlimmes ahnen.

Droht dem Abendblatt das gleiche Schicksal wie der Berliner Morgenpost? Kommt der Politikteil künftig von der Welt-Redaktion aus Berlin und in Hamburg sind sie nur noch fürs Regionale zuständig? Oder soll Strunz das Abendblatt enger mit den anderen Regionalzeitungen verzahnen, an denen Springer beteiligt ist? Machen die Hamburger bald den Mantel für die anderen Titel der sogenannten „Grünen Gruppe“ bei Axel Springer?

Strunz winkt ab: „Eine Fusion würde der zwingenden Einzigartigkeit des Hamburger Abendblatts widersprechen, die man braucht, um Erfolg zu haben. Ich habe keine Rationalisierungsagenda. Aber ich bin natürlich vernünftig.“ Bei den Olympischen Spielen in Peking hatte die Welt-Redaktion ein technisch gut ausgerüstetes Büro, während der Abendblatt-Redakteur als Einzelkämpfer in seinem Hotelzimmer schreiben musste. So etwas zum Beispiel – soll Strunz Kollegen angekündigt haben – werde es künftig nicht mehr geben.

Strunz will mit den anderen Tageszeitungen kooperieren, dementiert aber Fusionsgerüchte. Er hat den Sport- und den Politikchef der BamS nach Hamburg holen lassen, und er betont immer wieder, wie wichtig ihm die Internetpräsenz sei. Zweifellos würde dem Abendblatt etwas frischer Wind gut tun. Die Zeitung gilt als konservativ, wenig kritisch und ruhiger Posten für Chefredakteure mit geringen Ambitionen.

Dass Strunz diesen frischen Wind mitbringen wird, gilt für seinen Ziehvater Zimmer als ausgemacht. „Wenn Sie alles so lassen wollen, wie es ist, brauchen Sie keinen Strunz“, sagt Zimmer. Was sein Zögling exakt vorhaben könnte, lässt aber auch Zimmer im Dunkeln. Er traut ihm jeden journalistischen Job in Deutschland zu. „Das ist nicht das Ende seiner Karriere. Da bin ich sicher. Strunz ist einer, der immer in Vorleistung geht. Er fragt erst hinterher: Was bekomme ich dafür?“

Wenn das Abendblatt in fünf Jahren tatsächlich moderner und noch profitabler sein sollte, dann ist Strunz 47 Jahre alt. Jung genug, um vielleicht doch noch Chefredakteur der Welt zu werden. Hans Leyendecker und Klaus Ott schrieben einmal in der Süddeutschen Zeitung: „Bei Springer haben sie immer schon Jo-Jo gespielt – allerdings mit Personen. Besonders in den Top-Etagen. Abgesetzte Chefredakteure verschwinden in Entwicklungsstuben, um dann wieder Chefredakteure zu werden.“

Die Sätze erschienen im Herbst 2000, als Strunz die Leitung der Bild am Sonntag übernahm. Heute, acht Jahre später, ist er in keiner Entwicklungsstube verschwunden, sondern bei einer realen Tageszeitung mit langer Tradition. Hamburg ist nicht die Hauptstadt. Und das Abendblatt nicht die Welt. Aber Claus Strunz arbeitet als einer der wenigen Ex-Chefredakteure der Bild-Gruppe noch als Vollzeit-Journalist. Von Udo Röbel, Hans-Hermann Tiedje oder Claus Larras redet heute keiner mehr. Es hätte für ihn noch schlimmer kommen können.

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01. Oktober 2008 von ralfgeissler
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