Was heißt Links?

Seit 5. Februar erscheint die linke Wochenzeitung „Freitag“ in neuer Optik und mit mehr Inhalt. Das Blatt gehört seit Juni 2008 dem Sohn des Spiegel-Gründers. Augstein spricht vollmundig vom „interessantesten Medienprodukt des Jahres“. Einige seiner linksorthodoxen Leser dürften das anders sehen.

journalist vom Februar 2009

Manchmal können drei Buchstaben eine Geschichte erzählen. Wenn eine Frau ihren Geliebten „Bär“ ruft oder ein Mann am Kiosk ständig nach „Alk“ verlangt, dann sagt das über die Handelnden jede Menge aus. Und manchmal reicht es sogar, wenn die drei Buchstaben kein Adjektiv oder Substantiv bilden, sondern einfach nur einen Artikel wie das Wörtchen „der“. Bei der Wochenzeitung Freitag ist das so. Sie wird ab 5. Februar Der Freitag heißen.

„Weil es besser aussieht und besser klingt“, sagt Neueigentümer Jakob Augstein. „Außerdem heißen alle Zeitungen so: Der Spiegel, Die Welt, Die Zeit …“ Der 41-Jährige lümmelt auf seinem Bürostuhl in Berlin Mitte. Blaues Hemd zu Blue Jeans. Eine rote Ledercouch steht in der Ecke. Dort hat Augstein seine schwarze Winterjacke und die Sonnenbrille drauf geworfen. Es sieht extrem lässig aus.

Man könnte Augstein zustimmen. Klar, viele große Zeitungen tragen einen Artikel im Namen. Aber vielleicht wäre es gerade deshalb klug gewesen, darauf zu verzichten. Die Wochenzeitung Freitag war immer anders als alle anderen Blätter: Linker, radikaler, verkopfter – mitunter schwer verdaulich. Das wird sich ändern. Augstein hat das Blatt in den vergangenen sieben Monaten überarbeitet. Wenn die Wochenzeitung ab 5. Februar Der Freitag heißen wird, verliert sie ein Stück von ihrer Prägnanz. Sie bewegt sich ein wenig auf die Mitte zu.

„Früher war der Freitag ganz schön weit draußen. Jetzt kreuzt er wieder in Sichtweite der Küste“, sagt Augstein. Die Zeitung müsse offener werden. „Es geht mir darum, den Freitag zu erweitern, ohne ihn zu verändern.“ Der Neu-Eigentümer formuliert seine Ziele bewusst vorsichtig. Doch eins wird schnell klar: Er hat mehr vor als nur Kosmetik.

Im Juni vergangenen Jahres hat Augstein die Zeitung den sechs Alteigentümern um den Berliner Arzt und Psychotherapeuten Wilhelm Brüggen abgekauft. Wie viel Geld er schon investiert hat, will Augstein nicht verraten. Aber es dürfte eine hohe sechsstellige Summe sein. Die Zahl der redaktionellen Mitarbeiter erweiterte er von acht auf zwanzig. Augstein bestellte Philipp Grassmann von der Süddeutschen Zeitung zum Chefredakteur und ließ einen dritten Zeitungsteil konzipieren. Er soll „Alltag“ heißen und wird ab Februar auf acht Seiten Reportagen, Portraits und Interviews bringen, die weniger verkopft sind als das restliche Blatt.

„Ich will neue Leser gewinnen. Junge Leser. Und denen müssen wir mehr bieten als bisher“, sagt Augstein. Auch das Layout ließ er umgestalten. Der neue Freitag wird deutlich kontrastreicher aussehen. Augstein holt die Nullnummer aus der Schreibtischschublade. Auf der Titelseite ist groß und farbig ein zerzauster American Eagle zu sehen. Der dazugehörige Artikel beschäftigt sich mit dem Ende der Ära Bush. Verglichen mit dem alten Freitag wirkt die Nullnummer wie eine völlig andere Zeitung. Besonders zufrieden ist Augstein mit der neuen Schrift. „Das ist eine Antiqua vom holländischen Designer Lucas de Groot“, schwärmt er. „Er lebt in Berlin. Ein echter Künstler.“

Augstein erzählt von seinem Besuch bei de Groot in einem Schöneberger Hinterhof. Mehrfach fallen dabei die Worte „cooler Typ“. Augstein lehnt auf seinem Stuhl zurück, die Beine übereinander geschlagen. Er wirkt viel jünger, als er eigentlich ist. Überhaupt erinnert Augstein mehr an den Macher eines hippen Berlin-Mitte-Magazins oder an einen Redakteur von Neon. Auf die Idee, dass er ein Blatt für Linksintellektuelle besitzt, käme man so ohne Weiteres nicht. Und man ahnt in diesen Minuten, dass ihn Welten von manchem seiner Leser trennen.

Reichlich 12.000 Käufer findet der Freitag jede Woche. Es sind wenige, aber sehr aufmerksame und kritische Leser. Als Augstein im Dezember begonnen hat, Werbung von Markenartiklern im Freitag abzudrucken, erreichten ihn die ersten Protestbriefe. „Zunächst muss ich mit ein paar Vorurteilen aufräumen“, sagt Augstein. „Auch früher hatte der Freitag schon Anzeigen. Aber da warb eben der Antifaschistische Fahrrad-Corso. Das wurde von den Lesern gar nicht als Anzeige wahrgenommen. Doch Werbung bleibt nun mal Werbung. Und alle, die jetzt fürchten, es kämen bald ganz viele Anzeigen, kann ich beruhigen. Dagegen spricht schon die Medienkrise.“

Dass Augstein ausgerechnet in dieser Krise eine Wochenzeitung neu positioniert, finden viele mutig. Andererseits handelt er nicht aus altruistischen Motiven. Augstein wollte schon länger eine eigene Zeitung oder Zeitschrift leiten. Vor zwei Jahren entwickelte er zusammen mit Oliver Gehrs für den Spiegel-Verlag das Kulturmagazin Adler, das über eine Nullnummer nie hinauskam. In der Schweiz entwarf Augstein eine Wochenzeitung, aus der ebenfalls nichts wurde.

Dass er den Freitag kaufen konnte, verdankt er seiner Hartnäckigkeit. „Ursprünglich suchten wir einen Kapitalgeber, der sich bei uns beteiligt“ erinnert sich Wilhelm Brüggen, Sprecher der ehemaligen Eigentümer-Gruppe. „Aber Augstein machte schnell klar: Er will das Blatt ganz oder gar nicht.“ In den Verhandlungen rang Brüggen Augstein das Versprechen ab, alle Mitarbeiter zu übernehmen, das ehrenamtliche Herausgeber-Gremium zu erhalten sowie politische Ausrichtung und Identität des Blattes nicht zu verändern.

Der letzte Punkt wird von Augstein aber nicht so eng ausgelegt. „Ich weiß nicht genau, was das heißt: Links“, sagt Augstein und fügt dann eilig hinzu. „Aber der Freitag bleibt eine linke Wochenzeitung, wenn man links so versteht, wie der Gründungsherausgeber des Freitag, der Journalist Günter Gaus: als eine Geisteshaltung, die alles hinterfragt.“

Bei Friedrich Schorlemmer sorgt diese Begriffsauslegung für ein Stirnrunzeln. Der Wittenberger Pfarrer ist einer der vier ehrenamtlichen Herausgeber des Freitag. „Ich würde mich des Wortes demokratische Linke nie schämen“, sagt Schorlemmer. Was ihn aber mehr verstört hat, ist die Tatsache, dass Augstein künftig auf den Untertitel „Die Ost-West-Wochenzeitung“ verzichten will. „Wir brauchen auch weiterhin ein Blatt, das sich der Ost-West-Unterschiede annimmt – gerade im Jahr zwanzig nach der friedlichen Revolution, in dem es um die Deutungshoheit über 1989 geht.“

Schorlemmer betont aber, dass es sich dabei „nur um kleine Meinungsverschiedenheiten“ handle. Und auch die Alt-Eigentümer sehen den Veränderungen gelassen entgegen. „Augstein wird sicher nicht den Fehler machen, bestimmte Autoren nicht mehr zu Wort kommen zu lassen, denn dann wird er Leser verlieren“, sagt Ex-Inhaber Brüggen. „Außerdem ist die Mitte publizistisch gut abgedeckt. Der Freitag kann nur als linkes Blatt überleben.“

Dennoch dürften die Zumutungen für einige Leser erheblich werden. Mit der Einführungskampagne für den neuen Freitag hat Augstein die Werbeagentur Scholz & Friends beauftragt, die auch die Image-Kampagne der Frankfurter Allgemeinen gestaltet, Werbung für TUIfly macht und Lobby-Anzeigen für den Verband der forschenden Arzneimittelhersteller entwirft. Ein Mitglied aus der ehemaligen Eigentümer-Gruppe des Freitag frotzelt, die Kampagne koste vermutlich einen Jahresetat.

„Unsinn“, winkt Augstein ab. „Das wird eine kleine, spitze Aktion. Und natürlich zahlen wir dafür nicht so viel wie BMW oder Mercedes. Dass die Agentur gleichzeitig für die FAZ und für uns arbeitet, finde ich auch keinen Widerspruch. Ich halte die FAZ für die beste deutsche Tageszeitung. Sie hat viele Eigenschaften, die ich für den Freitag auch gern hätte. Sie verfügt über eine große innere Bandbreite, ist sehr experimentierfreudig und lebendig.“

Viel Werbung wird Augstein zum Neustart gar nicht brauchen. Schon als er das Blatt gekauft hat, erreichte es eine bis dahin nie gekannte Aufmerksamkeit. Das liegt natürlich an Augsteins Nachnamen. Alle Medienredakteure beobachten die kleine Redaktion gegenüber der Berliner Humboldt-Universität sehr genau und wollen wissen, ob der Sohn des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein mit ähnlichem Talent gesegnet ist wie sein Vater.

Eine Bürde sei das für ihn nicht, behauptet Augstein. Im Gegenteil. „Der Nachname ist bei diesem Projekt ein unheimlicher Vorteil gewesen. Wir haben eine Vereinbarung mit dem britischen Guardian geschlossen, von dem wir Texte übernehmen dürfen. Darauf bin ich sehr stolz. Der Guardian gehört zu den besten Zeitungen der Welt.“

Sein Vater hat Jakob Augstein durchaus zugetraut, verlegerische Entscheidungen zu treffen – zumal der Sohn viele Jahre als Redakteur bei der Süddeutschen Zeitung gearbeitet hat, wo er von 1999 bis 2002 die Berlin-Seiten leitete. Vor seinem Tod versuchte Rudolf Augstein, seinen Kindern ein Mitspracherecht im Spiegel-Verlag zu erhalten. Doch wegen des Widerstands des Gesellschafters Gruner + Jahr wurde ein Vertrag aus den siebziger Jahren nicht noch einmal geändert. Damals hatten die Gesellschafter vereinbart, dass Rudolf Augsteins Erben nur 24 Prozent am Verlag behalten dürfen und damit die Familie nach dem Tod des Gründers ihre Macht beim Spiegel verliert.

„Anfang der siebziger Jahren war das sicher eine nachvollziehbare Entscheidung. Ich war drei, meine Schwester fünf Jahre alt. Und wer weiß, wo wir hätten landen können. Später hätte unser Vater diese Regelung gerne zurückgenommen, aber es war zu spät dafür.“ Heute nimmt Augstein zwar als Dauertestamentsvollstrecker der Erbengemeinschaft an den Gesellschafterversammlungen des Spiegel-Verlags teil, hat dort aber nur eine beratende Funktion. „Aber von allen Gesellschafter-Vertretern sitze ich schon die längste Zeit am Tisch. Das ist keine schlechte Position.“

Daneben arbeitet der Erbe auch für die Rudolf-Augstein-Stiftung, wo er für die Förderung journalistischer Projekte zuständig ist. Vor fünf Jahren hat Augstein den kleinen Buchverlag „Rogner und Bernhard“ gekauft, der in Deutschland die Werke von Douglas Adams verlegt („Per Anhalter durch die Galaxis“) und eng mit dem Buchversand Zweitausendeins kooperiert. „Um den Buchverlag kümmert sich meine Frau“, sagt Augstein, was nicht verwunderlich ist, denn er hat beim Freitag genug zu tun.

Noch im Januar machte die Programmierung der neuen Internetseiten Probleme. Dabei sollen sie das Herzstück vom neuen Freitag werden. „Wir wollen künftig ein Internetauftritt sein, der eine Zeitung hat,“ sagt Augstein. „Die Nutzer können sich im Netz anmelden, Texte kommentieren, diskutieren, sich gegenseitig bewerten oder eigene Artikel hochladen. Die Redaktion liefert für diesen Prozess das Material und wir versprechen den Nutzern: Wenn ihr richtig gut schreibt, dann drucken wir Eure Texte auch in der Zeitung.“

Das klingt ein bisschen nach Online First wie bei Axel Springer. „Warum auch nicht“, fragt Augstein. „In Sachen Internet finde ich die Bild-Zeitung vorbildlich.“ In den vergangenen Wochen gelangte man auf freitag.de zunächst auf die Werbung eines Schweizer Uhrenherstellers. Ein Countdown zählte die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden bis zum Neustart des Internetangebots zurück. Noch so eine Zumutung für die linken Leser.

Wie viele nach dem Neustart ihr Abonnement behalten werden, mag Augstein nicht beziffern. Auch nicht, welche Auflage er mit dem Heft künftig anstrebt. „Wir haben da kein konkretes Ziel“, sagt er, was glatt gelogen sein dürfte. Immerhin so viel verrät er: Die Zahl der Verkaufsstellen, an denen der Freitag ab Februar zu haben ist, wird sich verfünfzehnfachen.

„Ich glaube, dass wir in diesem Jahr das interessanteste deutsche Medienprodukt sind“, resümiert Augstein voller Selbstbewusstsein. „Wir können jeden Autor gewinnen, an den wir uns wenden. Wir bezahlen zwar wenig, betreuen aber erstklassig. Notfalls legen wir unseren Autoren nachts noch Butterbrote vor die Tür.“

Wenn Kritiker an seinem Konzept zweifeln, verweist Augstein gern darauf, dass es für den Freitag keine Alternative gab. „Die Zeitung konnte so wie bisher ökonomisch nicht weitermachen. Es war ein Kurswechsel nötig.“ Diese Behauptung ist allerdings umstritten. Die ehemaligen Eigentümer sagen, sie hätten mit dem Freitag durchaus einen bescheidenen Gewinn erwirtschaftet. Nur für eine Weiterentwicklung habe das Geld nicht gereicht.

Diese Weiterentwicklung muss nun Augstein glücken. Investiert hat er. Auf absehbare Zeit soll das Blatt Profit abwerfen. Denn auf Dauer will der Erbe das Projekt nicht mit Gewinnen aus seiner Spiegel-Beteiligung subventionieren. So selbstlos ist er nicht. „Der Freitag muss Geld verdienen“, sagt Augstein. „Wenn der Freitag kein Geld verdient, gehen hier die Lichter aus – so wie überall.“

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01. Februar 2009 von ralfgeissler
Kategorien: Medien | Schreibe einen Kommentar

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