Kavka wird erwachsen

Markus Kavka ist schon 41, fühlt sich aber wie 30. Fürs ZDF moderiert das Urgestein des Musikfernsehens jetzt eine politische Talkshow. Sie soll Fernsehen und Internet verbinden – und junge Zuschauer fürs Öffentlich-Rechtliche begeistern.

journalist 04/2009

Mit zehn Jahren ist Markus Kavka Messdiener geworden. Irgendetwas musste er ja unternehmen gegen die Langeweile im oberbayerischen Manching. Und so kippte er vorm Gottesdienst ein bisschen Wodka in den Wein oder vernebelte so viel Weihrauch, dass den Damen auf der vordersten Kirchbank ganz blümerant wurde. Und nach dem Gottesdienst hieß es: Hand aufhalten. An der Kirchenpforte verdiente Markus Kavka sein erstes Vermögen. Berge voller Münzen. Als Dankeschön für seine Ministrantendienste.

„So 100 Mark habe ich nach einer Hochzeit oder Beerdigung schon eingesammelt“, sagt Kavka. Trotz seiner Streiche. Die ersten Einnahmen behielt er aber nicht für sich allein. Kavka kaufte Matchbox-Autos für seinen drei Jahre jüngeren Bruder. „Der hat nur halb so viel Taschengeld bekommen wie ich. Zwei Mark fünfzig in der Woche Woche. Später ging dann aber jeder Pfennig für neue Platten drauf.“

Markus Kavka sitzt im Café Morena in Berlin Kreuzberg. Das bekannteste Gesicht des deutschen Musikfernsehens sieht schon lange nicht mehr wie ein bayerischer Bengel aus. Heute versucht er cool statt frech zu wirken. Der 41-Jährige trägt einen schwarzen Schlips zum perfekt gebügelten grauen Hemd. Dunkle, enge Hosen. Fabrikneue Markenstiefel. Die Schnürsenkel sind natürlich offen. Nur so wirkt es lässig.

In den vergangenen Wochen saß Kavka häufiger im Morena mit Journalisten zusammen. Er hat eine neue Show auf der Internetseite Myspace. Jeden Freitag stellt der Musikexperte dort coole Bands und absurde Internetseiten vor, die er beim Surfen entdeckt hat. „Kavka vs. The Web“ heißen die sieben Minuten. Bis zu 50.000 Leute sehen sich das wöchentlich an.

Der Zuspruch dürfte am Humor im Stil eines Herbert Feuerstein liegen, den das Ganze versprüht. Kavka parodiert in den Moderationen seine Ahnungslosigkeit in Sachen Technik. In der zweiten Folge sah man ihn mit einem roten Haartrockner am rechten Ohr verzweifelt ein Telefonat führen: „Hallo? Hallo? Hörst Du mich? Ich benutze meinen neuen I-Fön.“ In einer anderen Folge quatscht er auf der Straße eine junge Frau an: „Sag mal, wir kennen uns doch aus dem Netz?“ Und dann sieht man, wie Kavka sich erinnert: Die beiden haben mal auf dem Spielplatz im Kletternetz abgehangen.

„Ich habe einfach nicht so viel Ahnung von Technik wie ein 14-Jähriger“, sagt Kavka. „Bis vor einem Jahr hatte ich noch nicht mal einen eigenen Computer. Wenn bei mir das WLAN ausfällt, bin ich völlig hilflos.“ Und doch surft er täglich zwei Stunden auf der Suche nach neuer Musik für seine Show. Unter seinem Myspace-Profil hat er fast 17.000 Freunde versammelt. Darauf dürfte so manch 14-Jähriger neidisch sein. Überhaupt gibt es nur wenig Menschen in Kavkas Alter, die ein so jugendliches Leben führen wie er: unverheiratet, kinderlos und ständig unterwegs.

Noch immer stellt Kavka bei MTV jeden Freitag Abend neue Musikvideos vor. Seine Wochenenden verbringt er bevorzugt in diversen Clubs des Landes, wo er als DJ auflegt. „Ich versuche mir einzureden, dass ich irgendwie doch noch wie ein Dreißigjähriger wirke“, sagt Kavka und streift sich eine schwarze Strähne aus der Stirn. Zwar werden seine Schläfen schon grau, aber wenn Journalisten etwas über Jugendkultur oder moderne Musik wissen wollen, rufen sie immer noch den Kavka an. Der weiß, was läuft.

Zu seinem vierzigsten Geburtstag hat ein Kollege geschrieben: Kavka wird erst erwachsen, wenn er zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen wechselt. Nun ist es soweit. Das ZDF hat angerufen. Aber nicht etwa, weil die Verantwortlichen bei ihm erste Alterserscheinungen ausgemacht haben. Kavka soll das Programm verjüngen. Darüber muss er selbst schmunzeln. „Naja“, sagt er, „der Durchschnittszuschauer des ZDF ist noch älter als ich.“

Am Abend des 21. April wird Kavka für den Sender im Club Watergate in Kreuzberg zu einer politischen Talkshow einladen. Es soll um das Thema Arbeit gehen. „Natürlich wird es anders aussehen, als bei Anne Will oder Maybrit Illner“, sagt Kavka. Die Zuschauer werden die Möglichkeit erhalten, sich per Webcam live in die Sendung schalten zu lassen und ihre Meinung zu sagen. Außerdem soll es nur einen prominenten Talkgast geben. „Das kann Heike Makatsch, Christian Ulmen oder Farin Urlaub sein. Oder auch ein Politiker, der nicht ganz so steif ist: Wowi, Münte. Das ist so der Kandidatenkreis“, sagt Kafka.

Ausgestrahlt wird die Show vorerst nur im digitalen ZDF Infokanal und im Netz. „Wir müssen erst einmal testen, ob das funktioniert“, dämpft Kavka die Erwartungen. Ob sich aus dem Flirt mit den Programmverantwortlichen in Mainz etwas Dauerhaftes entwickelt, entscheidet sich vermutlich erst nach der Bundestagswahl Ende September.

Kavka und das ZDF. So richtig kann man das noch gar nicht glauben. Vor einigen Jahren hat er noch über das öffentlich-rechtliche Fernsehen gelästert. Jetzt klingt er ehrfürchtig. „Das ZDF strahlt eine geballte journalistische Kompetenz aus. Eigentlich hätten sie mich nicht nötig.“ Im Januar hat Kavka für den Infokanal bereits einen Wahlabend moderiert. „Wahlen im Web“ hieß die Sendung nach der Abstimmung in Hessen. Den Zusammenschnitt kann man bei Youtube ansehen.

Da sitzt Markus Kavka in einem Hörsaal der Universität Gießen. Auf blauen Sesseln haben die Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte, Christoph Bieber und mehrere Internetexperten Platz genommen. Man diskutiert die neuesten Hochrechnungen und die Reaktionen darauf im Netz. Was wird gerade getwittert? Was meinen die Blogger? Wie viele Freunde hat Thorsten Schäfer-Gümbel bei Facebook? Es wirkt ein bisschen bemüht. Der Online-Referent von Roland Koch wird zum Interview eingeblendet. „Über Skype“, wie Kavka mehrfach betont. Aber das macht den Mann auch nicht interessanter.

Acht Wochen später verteidigt Kavka das Format. Die Resonanz sei gut gewesen. Deshalb werde das Projekt bei den kommenden Wahlen wiederholt. Außerdem gebe der Zusammenschnitt bei Youtube nicht den Gesamteindruck wieder. „Wir hatten zum Beispiel schon vor 18 Uhr über Twitter die Information, dass Andrea Ypsilanti als hessische SPD-Vorsitzende zurücktreten wird. Eine halbe Stunde vor allen anderen. Twitter – so etwas kann man natürlich in der ZDF-Hauptsendung nicht erzählen. Aber wir, mit der Spezialisierung aufs Internet, wir konnten das diskutieren.“

Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. Aus den Lautsprechern des Cafés Morena singt Elvis Presley. Kavka blickt in Gedanken versunken aus dem Fenster. Später wird er sagen, dass er vor der Wahlsendung ein bisschen aufgeregt war. Obwohl Politik für ihn gar nicht so etwas Neues ist.

Seit anderthalb Jahren engagiert sich Kavka gegen Neonazis. Er hat die Aktion Störungsmelder mit ins Leben gerufen. Auf den Internetseiten der Zeit informiert er über rechtsradikale Umtriebe. Und er besucht Schulklassen, um über rechte Symbole aufzuklären.

Als Jugendlicher ist Kavka mehrfach von Nazis verprügelt worden. Er war Grufti. Das strapazierte selbst die Toleranz der sonst freundlichen konservativen Nachbarn in Manching. „Da gab es ganz wilde Gerüchte“, erinnert sich Kavka. „Die Leute haben sich erzählt, der klaut die Hostien aus dem Tabernakel. Und am Schlimmsten war für die, dass ich mit einem skelettierten Katzenkopf herumgelaufen bin.“

Die Katze hatte Kavka schon halb verwest im Straßengraben gefunden. Er nahm ihren Kopf mit nach Hause, reinigte ihn und hängte ihn sich um den Hals. „Mein Vater hat gesagt, wenn Du Dich dafür jede Woche von Nazis verdreschen lässt, muss es Dir ja wirklich wichtig sein. Aber bitte sei so gut und höre nach dem Abitur damit auf, sonst bekommst Du keinen Job.“ Lediglich die Oma zeigte Verständnis. Sie nähte Markus und drei seiner Kumpels die schwarzen Klamotten. „Das Haus meiner Großmutter war die Grufti-Zentrale in Manching.“

Dieselbe Oma hatte ihm auch die erste Schallplatte gekauft. „Das war eine Single von Abba“, erzählt Kavka – und man traut seinen Worten kaum. Ein Musik-Kenner, der Abba hört? „Naja. Die erste Platte, die ich selbst bezahlt habe, war von Soft Cell. 1981. Tainted Love. Das geht doch, oder?“

Nach dem Abitur studierte Kavka in Nürnberg Theater- und Kommunikationswissenschaften sowie Amerikanistik. In jenen Jahren wurde seine Grufti-Phase durch die Grunge-Phase abgelöst. Nirvana und Soundgarden. Die Haare wurden länger. Nebenbei schrieb Kavka für diverse Musikzeitschriften und erhielt nach der Magister-Arbeit eine Redakteursstelle beim Musik-Magazin Metal Hammer. Dadurch knüpfte er Kontakte zum neuen Musikfernsehsender VIVA, wo seine Karriere als Moderator und VJ 1997 ihren Anfang nahm.

Der anschließende Ruhm – so erzählt Kavka immer wieder – sei nie geplant gewesen. Aber wenigstens hat sich der Heimatort Manching dank seiner Prominenz mit ihm ausgesöhnt. „Wenn ich nach Hause komme, liegen immer so zwanzig Autogrammkarten auf dem Tisch, die ich unterschreiben soll. Meine Mutter hat jede Sendung von mir gesehen. Acht Jahre hat sie täglich zugeschaut, wie ich die MTV News moderiert habe.“

Mehrere Zeitungen hatten in den vergangenen Monaten geschrieben, MTV habe sich vollständig von Kavka getrennt. Aber das stimmt nicht. „Mein Festvertrag wurde gekündigt. Aber ich habe immer noch einen Vertrag als freier Moderator.“

Wenn man Kavka Freitag Abend in der Sendung „brand: neu“ Musikvideos vorstellen sieht, zwischen all der Klingelton-Werbung und den Dating-Shows, wirkt er dann doch ein bisschen wie ein Relikt aus alten Tagen, das nicht mehr so recht ins Gesamtschema passt. „Das Programm musste sich verändern“ verteidigt Kavka den Sender. „Mit Musikvideos allein kann man heute keinen Jugendlichen mehr vor den Fernseher locken.“

Trotzdem scheint er den vergangenen Zeiten ein wenig nachzutrauern. Kavka will zusammen mit seinem ehemaligen Programmdirektor Elmar Giglinger ein Buch über 15 Jahre Musikfernsehen in Deutschland schreiben. Ob es allerdings jemals fertig wird, ist ungewiss. „Da sollen jede Menge Anekdoten und Namen rein. Aber allein beim Lesen des Exposés bekamen die Justiziare der angefragten Verlage schon graue Haare.“

Bereits in Arbeit ist sein Roman. Er handelt von einen Fernsehmoderator, der nach seiner Karriere zurück in sein kleines bayerisches Heimatdorf muss. Vierzig Seiten sind schon geschrieben. Wenn die Geschichte nächstes Frühjahr erscheint, ist es bereits Kavkas drittes Buch. „Die anderen beiden habe ich in meinem Regal unter Reiseliteratur eingeordnet. Eigentlich sortiere ich ja alphabetisch nach Autor. Aber direkt neben Kafka mein eigenes Buch einsortieren – das ging einfach nicht.“

Ein alphabetisch sortiertes Bücherregal? Das passt so gar nicht zu dem Typen, der im Fernsehen mal preisgab, er habe sich mit dem Epiliergerät seiner Freundin die Hoden enthaart. „Das war doch nur ein Gag“, sagt Kavka und lacht. „Jeder, der darüber auch nur eine Minute nachdenkt, muss doch wissen, dass das ziemlich weh tun würde.“

Es ist ein trüber Nachmittag. Nach zwei Stunden im Café Morena schlendert Markus Kavka durch den Görlitzer Park in Berlin Kreuzberg. Es regnet. Die Wege sind matschig. Die nagelneuen Schuhe bald verdreckt. Der Moderator bleibt cool. Er redet übers Kinderkriegen. „Mit fünfzig Jahren könnte ich mir gut vorstellen, Vater zu sein. Aber das muss nicht übers Knie gebrochen werden.“

Unterwegs sprechen ihn zwei Jugendliche an. „Hey, willste was zum Rauchen kaufen?“ Kavka grinst und schüttelt mit dem Kopf. Als der Regen stärker wird, eilt der Moderator zurück zu seinem schwarzen Geländeauto. Das sieht aus wie neu, ist aber viel zu groß für einen Mann, der nur 1,70 Meter misst, gleich um die Ecke wohnt und irgendwie auch ein Vorbild in Sachen Umweltschutz sein sollte. Aber ein Kinderwagen – der würde durchaus reinpassen.

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01. April 2009 von ralfgeissler
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