Stiller Triumph

Brigitte Fehrle leitet seit April die Berliner Zeitung. Zunächst nur kommissarisch. Offiziell ist sie Stellvertreterin. Doch so mancher wünscht sich, Fehrle würde dauerhaft Chefin. Denn keiner kennt das Blatt so gut wie sie.

journalist 05/2009

Alles schien wie früher. Als Brigitte Fehrle zum ersten Mal nach drei Jahren wieder das Gebäude der Berliner Zeitung betrat, erstrahlte das Hochhaus hinterm Alexanderplatz noch immer in der Hässlichkeit eines billig renovierten DDR-Plattenbaus. Der Pförtner saß in schmuckloser Uniform vor dem grauen Telefon. Die Wände waren kahl wie einst. Und als Fehrle den Aufzug betrat, drückte sie intuitiv die Taste, mit der die Fahrstuhltür schneller schließt. So wie sie es sechzehn Jahre lang getan hatte, als sie hier Journalistin war und eilig ins Büro musste.

Und trotzdem wusste Fehrle, dass die Redaktion eine andere sein würde als jene, die sie im Juli 2006 verlassen hatte. „Die Berliner Zeitung hat sich verändert“, sagt Fehrle. „Und ich habe mich auch verändert. Ich habe Distanz gewonnen, einen Außenblick auf das, was die Zeitung ist. Wir können hier nicht den alten Zeiten nachhängen und glauben, sie werden zurück kommen.“

Seit 1. April ist die 54-Jährige wieder stellvertretende Chefredakteurin. Die gleiche Funktion hat sie schon einmal knapp vier Jahre inne gehabt. Sie verließ die Redaktion 2006, weil die britische Mecom-Gruppe um David Montgomery die Berliner Zeitung gekauft hatte und einen strikten Sparkurs durchsetzen wollte. Mehr als zwanzig Prozent vom Umsatz sollten als Gewinn übrig bleiben. Das hielt Fehrle für ein unmögliches Ziel.

Ihre Rückkehr ist ein kleiner, stiller Triumph. Die gute Nachricht in der Finanzkrise. Denn wenn die Entwicklung der Kapitalmärkte den britischen Investor nicht in existentielle Schwierigkeiten gebracht hätten, wäre das Blatt wohl in die Bedeutungslosigkeit gespart worden. So aber hat Mecom den gesamten Berliner Verlag an den Kölner Unternehmer Alfred Neven DuMont verkauft. „Zum ersten Mal ist die Berliner Zeitung in der Hand einer richtigen Verlegerfamilie“, freut sich Fehrle. „Sie wird nicht länger von einer Heuschrecke ausgesaugt oder ist Teil eines großen Medienkonzerns.“

Fehrle sitzt im Besprechungszimmer der Chefredakteure im dreizehnten Stock. Vom Fenster aus blickt man auf die Neubauten Ost-Berlins. An der Wand hängen vier große Portraits von Affen aus dem Zoo. „Dass sie unsere Frau Fehrle aber ja nicht mit denen fotografieren“, mahnt die Sekretärin aus dem Nebenzimmer. Die Bilder ließ noch Josef Depenbrock aufhängen – Chefredakteur und Geschäftsführer unter den britischen Gesellschaftern.

Depenbrock verließ im März die Redaktion, die ihn hasste. Bis heute wurde kein Nachfolger benannt und so hat Fehrle als Stellvertreterin derzeit das alleinige Sagen. Sie will einige Pläne umsetzen, die Depenbrock aufgeschoben hat. Ein neues Redaktionssystem wird es für alle Tageszeitungen des Verlages geben. Online und Print sollen enger verzahnt werden. Nur eines kann Fehrle nicht versprechen. Dass sie die vielen guten Autoren zurückholt, die genau wie sie der Zeitung in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt haben.

„Wir müssen erst einmal eine Bestandsaufnahme machen“, sagt Fehrle. „Dann werden wir gezielt überlegen, was man tun kann. Die Zeiten sind leider nicht so, dass wir in großem Umfang Leute einstellen können. Das wissen auch die Kollegen.“

Sie sitzt auf ihrem Bürostuhl und knetet die Hände. Grauer Ringelpullover unter schwarzer Strickjacke. Dunkle Hosen. Fehrle wirkt sehr ernst, sehr sachlich. Sie schneidet das heikle Thema Synergien an. Künftig sollen Artikel mit den anderen DuMont-Blättern – wie der Frankfurter Rundschau – ausgetauscht werden. Normalerweise sorgen solche Vorhaben für Proteste. Doch die Berliner Redaktion wurde in den vergangenen Jahren derart ausgetrocknet, dass sie den Plänen überraschend gelassen entgegen sieht. „Wenn die Kooperation uns allen hilft, dann ist dagegen nichts einzuwenden“, sagt ein Redakteur.

Als Fehrle im März zum ersten mal nach fast drei Jahren wieder das Zeitungsgebäude hinterm Alexanderplatz betrat, haben die Mitarbeiter applaudiert. Sie genießt einen hohen Vertrauensbonus. „Mit ihr zieht wieder hauptstädtisches Niveau in die Chefredaktion ein“, sagt Thomas Rogalla, Sprecher des Redaktionsausschusses. Und so mancher fragt sich, warum Fehrle nur Stellvertreterin geworden ist. „Es ist mir ein Rätsel, wieso der Verlag sich so anstellt“, wundert sich ein Redakteur. „Sie wäre die beste Chefin für Berlin“, schwärmt ein anderer.

Fehrle gilt als ausgesprochen fleißig und sehr gut organisiert. Ein Kopfmensch. Ehrlich, aber auch ehrgeizig. „Sie arbeitet systematisch, ordnet die Dinge. Sie ist keine Journalistin, die spontan aus dem Bauch heraus Entscheidungen trifft“, so ein ehemaliger Kollege.

Dabei war es lange nicht ausgemacht, ob Fehrle überhaupt Journalistin würde. Nach dem Abitur lernt sie in ihrem Geburtsort Stuttgart Verlagsbuchhändlerin. Sie arbeitet für einen Familienbetrieb, der sich mit Kunstbüchern und Kalendern über Wasser hält. Erst mit 24 Jahren entscheidet sich Fehrle für ein Studium der Politikwissenschaften am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin. Dort sitzt sie zwischen lauter 19-Jährigen Abiturienten in den Vorlesungen. Ich habe mich relativ fremd gefühlt“, erinnert sich Fehrle. „Und ich war auch keine typische Studentin.“

Im Gegensatz zu ihren Kommilitonen zieht Fehrle das Studium straff durch. Nebenbei beginnt sie für die linke taz zu schreiben. Ressort „Betrieb und Gewerkschaft“. Fehrle fällt in der chaotischen Redaktion durch ihre analytische und vergleichsweise ruhige Art auf. „Sie war von zurückhaltender Neugier“, erinnert sich ihr damaliger Kollege Arno Widmann. „Fehrle hat keine großen Reden geschwungen, obwohl die taz dafür reichlich Möglichkeiten bot.“

Diese Zurückhaltung verliert sie allerdings, sobald es ihr um Wichtiges geht. Sieben Monate nach dem Mauerfall diskutiert die taz, ob eine Liste sämtlicher konspirativer Wohnungen der DDR-Staatssicherheit veröffentlicht werden darf. Die Ostdeutschen in der Redaktion sind dagegen. Sie argumentieren, die Aufarbeitung müssten die DDR-Bürger schon selbst machen.

Eine Vollversammlung wird anberaumt. Als dort der Satz fällt, die Wessis sollten sich heraus halten, trompetet Fehrle forsch in den Saal: „Ich mische mich ein, wo ich will. Sonst hätten wir auch über Nicaragua nicht berichten dürfen.“

Ihre Forderung nach radikaler Öffentlichkeit in Sachen Stasi-Aufarbeitung schaffte es damals sogar in den Spiegel. Heute sagt Fehrle, die Jahre 1989/90 seien prägend für sie gewesen. „Ich fand die Haltung der Westdeutschen damals falsch. Ich hatte den Eindruck, wir machen einen Kotau vor den Ossis. Aus dem Gefühl heraus, man sei ihnen etwas schuldig, misst man ihre Vergangenheit nicht mit den Maßstäben, die man sonst anlegt.“ Die Stasi-Liste wird schließlich veröffentlicht.

Von Fehrles Konsequenz war damals auch Hans Eggert beeindruckt. Der letzte DDR-Chefredakteur der Berliner Zeitung fragte sie im Herbst 1990, ob sie als erste Westdeutsche in seiner Redaktion anfangen wolle. „Ich habe spontan Ja gesagt. Es war Pionierarbeit“, erinnert sich Fehrle. „In unfertigen Umgebungen, wo sich alles wandelt, alles noch offen ist, macht journalistische Arbeit doch besonders Spaß.“

Sie lacht. Der Satz hat tatsächlich etwas Komisches. Fehrles derzeitiges Büro könnte kaum Unfertiger sein. Kein Bild an den Wänden. Die schwarzen Regale leer. Vor dem Schreibtisch steht ein voll gestopfter Umzugskarton. Sie ist seit ihrer Rückkehr zur Berliner Zeitung noch nicht zum Einräumen gekommen. Lediglich der Schreibtisch zeugt davon, dass hier eifrig gearbeitet wird. Der Computer-Monitor läuft, ein Zeitungsstapel liegt daneben. Ganz oben: Der Tagesspiegel. Ihre wichtigste Konkurrenz in Berlin.

Ein bisschen erinnert das Bild an 1990, als sie hier im Haus auf Eggerts Werben hin Lokalreporterin wurde. Damals erhielt Fehrle bei der Berliner Zeitung nur einen provisorischen Arbeitsplatz. Und niemand wusste so recht, was für eine Rolle der Westdeutschen bei dem ehemaligen SED-Blatt zugedacht war.

Trotz ungewöhnlicher Bedingungen glänzt sie Anfang der neunziger Jahre durch gute Kontakte ins Berliner Rathaus. 1996 steigt sie zur Ressortleiterin für Innenpolitik auf. Doch als ein neuer Chefredakteur die Berliner Zeitung drei Jahre später auf SPD-Kurs trimmen will, opponiert ausgerechnet die linke Fehrle. Sie schreibt kritische Artikel über den sozialdemokratischen Bundespräsidenten Johannes Rau, widerspricht mehrfach dem neuen Chef und wird daraufhin als Leiterin des Inlandsressorts abgesetzt. „Natürlich war ich leicht gekränkt“, sagt Fehrle. „Ich habe diese Leitungsposition gern gemacht. Aber ich habe nicht gelitten. Dafür ging es mir zu gut. Ich hatte Zeit für meine Texte, durfte nun oft auf Seite drei schreiben.“

Der Zustand hält ohnehin nicht lange an. 2002 wechselt schon wieder der Chefredakteur. Uwe Vorkötter übernimmt das Blatt und ernennt Fehrle zu seiner Stellvertreterin. Es folgen die Jahre, in denen die Berliner Zeitung zum Verkauf steht und das Kartellamt entscheiden muss, ob der Holtzbrinck-Verlag das Blatt erwerben darf. Die alten Eigentümer haben nichts mehr zu sagen, die neuen noch nicht viel. „Wir hatten eine wunderbare Zeit. Die Zeitung machte Gewinn und keiner durfte uns reinreden“, sagt Fehrle und lacht wieder.

Das böse Erwachen kommt, als das Kartellamt dem Verkauf der Berliner Zeitung an Holtzbrinck widerspricht. Nun übernimmt der Brite David Montgomery das Blatt. Noch heute erinnert sich Fehrle detailliert an die ersten Gespräche mit dem Mann, den sie immer Monty oder die Heuschrecke nennt. „Er hat uns erklärt, er wisse, dass die Leute hier alle faul wären. Die müsse man rauswerfen. Und als wir erwiderten, selbst wenn man das wolle, sei das in Deutschland nicht so einfach, hat er das nicht verstanden. Es war ganz schlimm. Zumal die Zeitung schon schlank gespart war. Wir machten ja jedes Jahr Gewinne.“

Gemeinsam mit Chefredakteur Vorkötter und dem zweiten Stellvertreter Hendrik Munsberg stemmt sich Fehrle gegen die Übernahme. Doch der Widerstand gegen den beratungsresistenten Investor nützt nichts. Chefredakteur Vorkötter verlässt im Mai 2006 die Berliner Zeitung und geht zur Frankfurter Rundschau. Für wenige Tage wird Fehrle als Nachfolgerin gehandelt. Doch schließlich folgt sie Vorkötter an den Main und wird dort erneut seine Stellvertreterin. Im Auftrag des Verlegers DuMont sollen beide der Frankfurter Rundschau ein neues Gesicht verpassen. Ein kleineres Format, ein moderneres Gesamtbild.

„Es war wieder Pionierarbeit“, schwärmt Fehrle. Doch die Pionierin begeht mitten im Einsatz Fahnenflucht. Schon nach wenigen Monaten kehrt sie der Frankfurter Rundschau den Rücken und fängt im August 2007 bei der Zeit als Leiterin des Hauptstadtbüros an. Vorkötter – in Frankfurt noch mit den Nachwehen des Relaunchs beschäftigt – ist außer sich. Seine engste Mitarbeiterin, die er vor der Heuschrecke Montgomery gerettet hat, verlässt ihn. Ein klarer Vertrauensbruch. Auch Verleger Alfred Neven DuMont findet den Weggang Fehrles nicht angemessen.

„Es war ungehörig, in der schwierigen Situation zu gehen“, gibt Fehrle zu. „Ich habe deshalb auch ein schlechtes Gewissen. Aber ich hatte dieses Angebot für Berlin und mein Mann lebte noch hier. Ich wollte nicht ewig nach Frankfurt pendeln und so habe ich der Redaktion der Zeit damals zugesagt.“

Neven DuMont dürfte ihr verziehen haben. Sonst hätte er Fehrle kaum zur stellvertretenden Chefredakteurin bei der Berliner Zeitung ernannt – seiner wahrscheinlich wertvollsten Neuerwerbung. Er hätte sie natürlich auch gleich zur Chefin machen können. Hat der Vertrauensbruch vielleicht doch Spuren hinterlassen?

Es wird derzeit viel spekuliert über den obersten Redaktionsposten bei der größten Qualitätszeitung der Hauptstadt. Wird Fehrle das Blatt vielleicht doch dauerhaft leiten? Oder kehrt auch Vorkötter nach Berlin zurück und übernimmt die Chefredaktion? Fehrle sagt, sie hätte kein Problem damit. Im Gegenteil. „Ich habe immer wahnsinnig gern mit Uwe Vorkötter gearbeitet. Er ist ein toller Chef. Zuverlässig. Er belügt seine Mitarbeiter nie, er vertraut ihnen. Ein toller Journalist und Manager, von dem ich viel gelernt habe.“

Natürlich schmeichelt es ihr, dass viele auch sie gern an der Spitze sähen. Und dass es einflussreiche Redakteure gibt, die sagen, wenn sie den Job als Redaktionsleiterin nicht bekommt, wäre das ein kleiner Affront – denn dann hätte sich ihr Weggang von der Zeit nicht gelohnt. Aber Fehrle ist zu klug, um das auszusprechen oder gar damit anzugeben. Sie genießt die Unterstützung schweigend.

Derzeit spricht jedenfalls vieles dafür, dass Vorkötter wieder nach Berlin kommen wird. Und Fehrle bleibt Stellvertreterin. Branchenkenner sagen, DuMont suche nur noch einen Nachfolger für die Frankfurter Rundschau. Wenn der gefunden ist, bekommt die Berliner Zeitung wieder das alte, bewährte Team: Vorkötter und Fehrle. Zwei Analytiker. Und ein bisschen wäre es dann doch wie früher.

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01. Mai 2009 von ralfgeissler
Kategorien: Medien | Schreibe einen Kommentar

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