„Tagesthemen“ statt Theater
Caren Miosga wuchs in der niedersächsischen Provinz auf, himmelte Romy Schneider an und las Staumeldungen im Radio vor. Inzwischen erklärt sie den Deutschen die Welt. Seit knapp zwei Jahren moderiert sie die „Tagesthemen“.
journalist 06/2009
Fast hätte man sie übersehen. Als Caren Miosga über die grauen Flure der NDR-Fernsehzentrale läuft, sieht sie so gar nicht aus wie auf dem Bildschirm. Sie trägt leicht abgewetzte braune Schuhe, Jeans und einen grünen Schlabber-Pullover. Ihr Gesicht ist schon geschminkt, ähnelt ihrem Fernsehgesicht aber kaum. Darauf angesprochen – im Halbdunkel, zwischen Studioeingang und Kaffeeküche – lacht Miosga und erwidert. „Das ist doch eine erfreuliche Nachricht. Stellen Sie sich nur vor, ich würde überall gleich erkannt.“
Seit knapp zwei Jahren moderiert die 40-Jährige die Tagesthemen. Sie tut es erfrischend uneitel und mit erstaunlich viel Humor. Die Teilnehmer einer Gipfelkonferenz zur internationalen Finanzkrise nennt Miosga schon mal: „Die stolzen Dompteure von London.“ Und dann erzählt sie den Zuschauern, dass auf dem eingeblendeten Gruppenbild gar nicht alle Politiker zu sehen sind. „Beim ersten Fototermin war der kanadische Ministerpräsident auf dem Klo.“
An guten Tagen hat Miosga diese unerschrockene Offenheit, die sonst Kindern zu eigen ist: Seht her, der Kaiser ist ganz nackt! Und trotzdem kann sie Ereignisse auch in abstrakte Sprachbilder verpacken. Zum Beispiel wenn sie Politiker „Gipfelstürmer“ nennt, die „Seilschaften bilden“, um auf dem steinigen Weg nach Oben nicht abzustürzen. Nicht jedem gefällt das, weil es manchmal ein wenig nach Kulturjournal klingt. „Aber damit kann ich leben“, sagt Miosga. „Rein nachrichtliche Formulierungen finde ich langweilig.“
Es ist Montagvormittag. Gestern Abend hat Tom Buhrow mit einem Lächeln im Gesicht versprochen: Es wird schönes Wetter und ab morgen moderiert wieder Caren Miosga. Tatsächlich regnet es nicht in Hamburg. Miosga ist deshalb mit dem Fahrrad zur Arbeit gekommen. Den Fahrdienst, der so viele ihre Vorgänger ins Büro chauffiert hat, gibt es schon seit drei Jahren nicht mehr. 11:30 Uhr beginnt ihre erste Sitzung mit der Redaktion. Der Auftakt zu einem Zwölf-Stunden-Arbeitstag.
Gleich am Anfang bespricht sie mit ihren Kollegen die möglichen Themen für den Abend. Heute könnte es um eine rechtsextreme Jugendorganisation gehen, um Flüchtlinge aus Afrika und mal wieder um Opel. Die Nachrichtenlage erscheint eher dürftig. Miosga mag ja Tage, an denen viel passiert. „Es ist einfacher, wenn man thematisch aus dem Vollen schöpfen kann. Nachrichten à la ,Die Tarifverhandlungen wurden fortgesetzt’ lassen sich nur mit Mühe interessant vermitteln.“
Dabei will sie genau das: Die Welt interessant vermitteln. Und Politikern kritische Fragen stellen. Nach einem Tagesthemen-Interview mit der damaligen CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer kamen mal Briefe, was Miosga denn für eine linke Socke sei. Und als sie einen SPD-Politiker interviewt hatte, wurde sie als rechts-konservativ kritisiert. „Ich versuche einfach nur, eine journalistische Gegenposition einzunehmen“, sagt Miosga dazu. „Das ist alles.“
Ihr Büro beim NDR in Hamburg Lokstedt liegt im Erdgeschoss. Haus 18. Große Fenster. Jeder kann von Draußen sehen, wie sie sich an ihrem Schreibtisch durch Agenturmeldungen klickt und dabei Kaffee schlürft. Eine dünne Kuscheldecke liegt sorgfältig gefaltet im Regal, weil Miosga manchmal fröstelt. Zwischen Lexika und Wörterbüchern hat sie auch Teepackungen und Honig einsortiert – falls der Hals mal kratzt.
Dass Miosga einmal bei einer der wichtigsten Nachrichtensendungen Deutschlands arbeiten würde, hätte sie sich als Jugendliche nie erträumt. Aufgewachsen ist sie in Groß Ilsede zwischen Hannover und Braunschweig. Das Mädchen vom Lande tanzt leidenschaftlich gern. Und sie himmelt Romy Schneider an. Nicht die süße, kindliche Sissi-Darstellerin sondern die reife Schneider mit den großen Augenringen. Wenn die Diva spätabends über den Bildschirm flimmert, träumt Miosga von einer Karriere am Theater.
Die Eltern fördern sie. Das Verhältnis ist gut. Böse Mädchenstreiche sind nicht überliefert. „Natürlich gab es das eine oder andere, was nicht erlaubt war“, sagt Miosga, „wie wohl bei allen Kindern und Jugendlichen. Aber nichts, was sich heute noch dafür eignen würde, daraus im Nachhinein eine Legende zu stricken“. Und dann erwähnt sie etwas vom Höhlenbauen und Partys hinter der Ilseder Hütte, bleibt aber ausgesprochen vage. Es ist schwer, Miosga Informationen zu entlocken, die mit ihrer Vergangenheit oder ihrem Privatleben zu tun haben. Fragen, die sie nicht mag, lächelt sie einfach weg.
Wer Miosga in ihrem Büro besucht, muss ohnehin damit rechnen, dass sie wenig Zeit hat. Wenn sich die Moderatorin auf ihre Sendung vorbereiten will, schickt sie Gäste aus dem Raum. Dann kramt sie aus ihrer Handtasche ein blaues Stoffband hervor, an dessen Ende eine weiße Plastikkarte hängt. „Das ist die Karte, mit der sich die Türen im NDR-Gebäude öffnen lassen. Die können Sie mitnehmen, wenn Sie mit meinen Kollegen reden wollen. Die sitzen eine Etage über mir.“
Dort, im ersten Stock, hat auch Thomas Hinrichs sein Büro. Der zweite Chefredakteur von ARD Aktuell hat Miosga gewissermaßen entdeckt. Vor reichlich zwei Jahren riet er ihr, sich um die Moderation der Tagesthemen zu bewerben. Insgesamt fünf Frauen nahmen am Casting teil. „Miosga war die Beste. Ganz klar“, erinnert sich Hinrichs heute. Er sitzt in derselben Sitzgruppe, in der damals bei einem Kasten Bionade zwischen den Chefs von ARD Aktuell die Entscheidung fiel. Die Wand vor ihm ist mit neun Fernsehern zugepflastert. Man fühlt sich ein bisschen wie im MediaMarkt.
Vor einem Jahr konnte Hinrichs mit seiner Redaktion auf den dreißigsten Geburtstag der Tagesthemen anstoßen. An die Berichterstattung über das Jubiläum denkt der Chefredakteur aber ungern zurück. In diversen Zeitungen war von einer Krise die Rede, von sinkenden Einschaltquoten und davon, dass die Mehrheit der Deutschen Klaus Kleber vom heute Journal des ZDF viel kompetenter finde als die ARD-Moderatoren Caren Miosga und Tom Buhrow.
„Das war Unsinn“, widerspricht Hinrichs. „Wir sind bei den Zuschauerzahlen sehr konstant. 2006 hatten wir die höchste Zuschauerzahl seit 15 Jahren. 2007 haben alle Nachrichtenformate verloren, die Tagesthemen am wenigsten. Und 2008 waren die Tagesthemen das einzige Nachrichtenformat, das Zuschauer hinzu gewonnen hat. Im ersten Quartal 2009 liegen wir schon wieder fast auf Rekordkurs mit knapp 2,4 Millionen Zuschauern durchschnittlich.“
Hinrichs wirkt zufrieden. Klar, es könnte noch besser laufen. Vor allem wünscht er sich, dass die Tagesthemen endlich wieder eine einheitliche Anfangszeit bekommen. Derzeit geht die Sendung mal um 22:15 Uhr los, mal erst um 23:00 Uhr. Seit Monaten drängt er die Intendanten der ARD, an dem unerfreulichen Zustand etwas zu ändern. Doch bislang vergeblich. Auf seine beiden Moderatoren lässt der Chefredakteur jedenfalls nichts kommen: „Tom Buhrow und Caren Miosga sind leidenschaftliche Journalisten. Das merken die Zuschauer, und sie schätzen es.“
Um 14:30 Uhr beginnt die zweite Redaktionskonferenz. Hinrichs und Miosga nehmen an jeweils einer Stirnseite eines langen Tisches Platz. Rundherum gruppiert sich die Redaktion auf Tagesthemen-blauen Sesseln. Hinrichs plädiert dafür, einen Bericht über 300 afrikanische Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrunken sind, prominent zu platzieren. „Der Autor soll das Meer zeigen und dazu erzählen, dass genau dort 300 Menschen ertrunken sind. Das macht das Drama anschaulich.“
Miosga notiert sich Stichpunkte auf dem vorläufigen Sendeplan. Sie gilt als extrem penibel. In ihrer Hamburger Wohnung hat sie ein Metallschild hängen mit den mahnenden Worten des Videokünstlers Nam June Paik: „When to perfect, lieber Gott böse!“ Zudem neigt sie dazu, lange über eigene Missgeschicke nachzudenken. „Ich kann einfach nicht sagen: Klappe zu, das war es jetzt. Wenn Interviews schlecht liefen, frage ich mich noch Stunden später, wie ich es hätte besser machen können. Das treibt mich auch an.“
Nach dem Abitur hat sie die Dinge leichter genommen. Sie bewirbt sich 1988 an einer Schauspielschule und wird abgelehnt. Die zweite Schule hätte sie aufgenommen. Doch die kostet so viel Geld, dass sich Miosga entscheidet, Geschichte und Slawistik zu studieren. Die zentrale Vergabestelle für Studienplätze vermittelt sie an die Universität Hamburg. „Ich habe mir damals gar keine konkreten Gedanken gemacht, was ich danach werden könnte. Ich wollte studieren, weil mich die russische Sprache begeisterte. Ich wollte nach Russland reisen, weil ich das Land interessant fand. Und irgendwas würde sich dann schon finden.“
Zunächst findet sich ein Job als Reisebegleitern für Studienfahrten nach Moskau und Sankt Petersburg. Dann arbeitet sie in einem Hamburger Kopierladen. Ein Freund vermittelt sie schließlich zum privaten Radiosender RSH. Dort werden junge Sprecher für die Verkehrsnachrichten gesucht. Fortan sitzt sie morgens in der Leitstelle für die Hamburger Busse und gibt die Staulage durch. Neben ihr koordinieren ältere Herren in blauem Anzug den Nahverkehr und stopfen schon zum Frühstück fettige Bockwürste in sich hinein.
Es ist nicht gerade der ideale Job für eine junge Frau, die sich für Theater und Literatur begeistert. Aber die Verkehrsnachrichten werden zu Miosgas Sprungbrett in den Journalismus. Sie beginnt, Radiobeiträge zu recherchieren und zu moderieren. Nach diversen Stationen im privaten Hörfunk castet RTL sie für die Regionalnachrichten im norddeutschen Programm. Zum ersten Mal steht sie vor einer Kamera. 1999 wird der NDR auf sie aufmerksam. Sie übernimmt die Moderation des Kulturjournals, des Medienmagazins Zapp und landet schließlich im Ersten als Moderatorin der Kultursendung „Titel, Thesen, Temperamente“.
Ihr Aufstieg vollzieht sich so rasant, dass manche Kollegin ihr neidisch nachblickt. Die Männer dagegen erliegen Miosgas Charme nahezu vollständig. Nach ihrer ersten Tagesthemen-Moderation am 16. Juli 2007 ist in Artikeln von Miosgas „weiblicher Süße“ die Rede, von „rosigen Wangen“, ihrer „mädchenhaften Art“, der „mobilen Augenbraue“ und dass sie aussehe wie „frisch geduscht“. So mancher Journalist schreibt über sie, als stelle er einem Kumpel die Eroberung der vergangenen Nacht vor. „Ich war sprachlos“, sagt Miosga heute über die Texte. Dann schmunzelt sie. „Aber die Schreiber hätten mich natürlich auch eine alte Schabracke nennen können. Das wäre schlimmer gewesen.“
Die Dämmerung setzt ein über Hamburg. Miosga hat nicht mehr viel Zeit bis zur Sendung. Sie telefoniert mit den Autoren der heutigen Filmbeiträge. Anders als ihre Vorgängerin ruft sie fast immer direkt an und lässt sich nicht von der Sekretärin verbinden. Anschließend schreibt sie an ihren Moderationstexten und schlüpft in ein beigefarbenes Kostüm. Zwischendurch wirft sie immer wieder einen Blick auf die neuesten Agenturmeldungen.
Seit sie die Tagesthemen moderiert, kommt sie kaum noch dazu, dicke Romane zu lesen. Vor sechs Wochen hat sie es mal wieder ins Hamburger Thalia-Theater geschafft. Es wurde „Onkel Wanja“ gezeigt von Anton Tschechow. Miosga liebt die russische Literatur und die russische Sprache. Auf ihrem Schreibtisch liegt jeden Tag der „Kommersant“. Der Moskau-Korrespondent der ARD hat ihr die Tageszeitung empfohlen, weil hin und wieder auch mal etwas kritisches über Wladimir Putin drin steht.
Wenn Miosga nicht mehr bei den Tagesthemen arbeitet, wird sie vielleicht Filme im fernen Sibirien drehen. So als weiblicher Gerd Ruge. Aber bis es soweit ist, vergehen noch Jahre. „Das ist hier ein langfristiges Projekt“, sagt sie. Eine politische Talkshow zu moderieren – so wie ihre Vorgängerinnen Sabine Christiansen und Anne Will – kann sie sich jedenfalls nicht vorstellen. „Mich reizen eher intensivere Gespräche mit einer Person.“ Trotzdem schätzt sie vor allem Anne Will, die sie immer „die Anne“ nennt.
Um 22:07 betritt Caren Miosga das Tagesthemen-Studio. Dutzende Scheinwerfer an der Decke sorgen für das richtige Licht. Hinter ihrem polierten Sprecher-Tisch sieht Miosga wieder aus, wie die Moderatorin aus dem Fernsehen. Perfekte Frisur, beigefarbenes Kostüm, zarte Halskette. Es sind nur noch wenige Minuten Zeit bis zur Sendung. Die Maskenbildnerin legt mit dem Pinsel noch etwas Puder auf die Wangen. Miosga kichert: „Das kitzelt immer so.“