Der „Super“-Ossi

Jochen Wolff hält die DDR-Unterhaltung lebendig. Seit 1991 verantwortet der gebürtige Bayer die „Super Illu“. Keine andere Zeitschrift erreicht zwanzig Jahre nach dem Mauerfall so viele ostdeutsche Leser. Doch die Auflage schrumpft.

journalist 10/2009

Zu seinem fünfzigsten Geburtstag haben ihm einige Ost-Stars ein Lied komponiert. „Eine Hymne“, sagt Jochen Wolff und reibt sich die kräftigen Hände. Der Chefredakteur der Super Illu steht in seinem Büro in der Berliner Zimmerstraße. Vor den Fenstern verlief einst die Mauer. Wolff arbeitet gerade noch so im Westteil der Stadt – und damit eigentlich auf der falschen Seite. Aber man kann sich nicht alles aussuchen.

„Eine Hymne für einen Chefredakteur“, triumphiert Wolff noch einmal. „Dat jibt et nur im Osten.“ Er legt eine CD in sein Computerlaufwerk und aus zwei kleinen Plastiklautsprechern schmettert DDR-Fernsehlegende Herbert Köfer einen Marsch: „Er ist echt kein böser Wolff. Auf ihn, da kann man wirklich super zählen. Er will berichten, nicht einfach dichten.“ Wolff lächelt. Bei seiner Geburtstagsparty vor zehn Jahren in der Kleinen Revue im Berliner Friedrichstadtpalast hat Köfer das vor allen Gästen gesungen. Und Wolff war gerührt.

„Ich werde das demnächst mal ins Internet setzen“, sagt er. „Sollen sich die Kollegen doch das Maul zerreißen. Sollen sie nur.“ Er spielt die kompletten drei Strophen ab – so laut, dass auch die Nachbarbüros etwas davon haben. Wolff wirkt in diesen Minuten sehr zufrieden.

Mögen Westdeutsche bei seinem Namen irritiert die Stirn runzeln, im Osten ist Jochen Wolff ein Star. Ein richtiger Medienzar. Keine andere Zeitschrift verkauft sich in Ostdeutschland so gut wie seine Super Illu. „Jede Woche erreichen wir hier deutlich mehr Leser als Spiegel, Focus, Stern und Bunte zusammen“, sagt Wolff. Die Reichweite liegt bei traumhaften 22,6 Prozent.

Das liegt daran, dass Wolff als einziger Chefredakteur die alten Ost-Promis hätschelt und pflegt. Wer etwas über Wolfgang Lippert, Frank Schöbel oder Dagmar Frederic lesen will, muss zur Super Illu greifen. Dort dürfen die Altstars erzählen, dass in der DDR nicht alles schlecht war. Schon gar nicht sie selbst. Und damit trifft Wolff einen weiteren Nerv seiner Leser. Er streichelt ihr Selbstbewusstsein.

Als Angela Merkel 2005 zur Regierungschefin gewählt wurde, titelte Wolff: „Wir sind Kanzler“. Und wenn es mal ein Westdeutscher auf seine erste Seite schafft, wie der Musikmanager Thomas M. Stein, dann sollte er dort schon Sätze sagen wie: „Mein Herz schlägt Ost!“ Darüber hinaus versorgt Wolff seine Leser mit umfangreichen Ratgebertexten. „Wir verstehen uns als Kompass nach der Wiedervereinigung“, sagt Wolff. „Und wir wollen den Menschen Mut machen. Wir zeigen, was man in der Marktwirtschaft alles erreichen kann.“

Er klingt, als sei der Mauerfall nicht zwanzig Jahre her, sondern höchstens zwei. In Wolffs Welt lebt die Verunsicherung der Ostdeutschen auf Ewigkeiten fort. Manche haben ihm vorgeworfen, er betreibe Ostalgie. Das macht Wolff wütend. „Ist es denn Westalgie, wenn im Fernsehen die Schlager der fünfziger Jahre laufen? Die Filmklassiker wie ,Zwei kleine Italiener‘? Im Westen ist das völlig normal. Aber wenn der Osten seine Klassiker sehen will, seine alten Stars, ist das gleich Ostalgie. So ein Schwachsinn.“

Wolff schlägt mit der flachen Hand auf die Armlehne seines Sessels. Er ist ein energischer Typ. 1,92 Meter groß, kräftig. Obwohl er sich um eine ruhigen Tonfall bemüht, bebt sein roter Schnauzbart relativ oft. Es brodelt in ihm. Immer wieder steht er auf, läuft zum Fenster oder öffnet seine Bürotür, um die Sekretärin um einen weiteren Kaffee zu bitten, oder um Unterlagen. Er versteht sich als Anwalt der Ostdeutschen. Die Leser wissen es zu schätzen – und Politiker auch.

Seit Helmut Kohl 1990 bewiesen hat, dass man Bundestagswahlen nur mit den Ostdeutschen gewinnt, hat so ziemlich jeder Spitzenpolitiker der Super Illu ein Interview gegeben. Im Flur vor Wolffs Büro hängt eine Foto-Galerie mit den exklusivsten Gesprächspartnern: Gerhard Schröder, Angela Merkel, Edmund Stoiber.

Nur Karl Theodor zu Guttenberg, der in der Super Illu-„Politumfrage Ost“ gerade dabei ist, Gregor Gysi auf der Beliebtheitsskala zu überholen, hat vorige Woche abgesagt. Ein echter Affront, den Wolff gleich im Editorial thematisiert hat. „Der Minister hat vorgeschlagen, wir könnten unsere Fragen schriftlich stellen“, sagt Wolff pikiert. „Wo kommen wir denn da hin? Wir leben nicht mehr im Sozialismus.“

Wolff läuft durch das moderne und helle Großraumbüro zur Redaktionskonferenz. Ein langer Tisch hinter dem zwei riesige Flachbildschirme hängen. An einer Seitenwand kleben die Druckfahnen für einen 48-seitigen Schwerpunkt zum Mauerfall. Die Sonderausgabe mit dem Titel „Was wir wirklich erreicht haben“ ließ Wolff durch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft mitfinanzieren. Eigentlich passt die neoliberale Stiftung ja nicht so richtig zu seinem Blatt. Aber vielleicht fand sich kein anderer Partner, um die ostdeutsche Seele zu streicheln.

Der Chefredakteur nimmt an der Stirnseite des Konferenztisches Platz und brummelt einige Anmerkungen zur nächsten Ausgabe. Dann lässt er sich Fotos zeigen. Eine Redakteurin aus dem Leute-Ressort breitet eine Bildstrecke mit den Hauptdarstellern der MDR-produzierten Serie „In aller Freundschaft“ aus. „In keiner anderen Serie gibt es so viele Ost-West-Paare“, sagt sie. Wolff inspiziert die Bilder. „Das könnte ich mir als Titel vorstellen. Ein Herz und eine Seele – die Paare aus der Sachsenklinik. Nächstes Thema?“

Eine junge Redakteurin war auf dem Arbeitsamt Suhl. Die Behörde vergibt Jobs an Langzeitarbeitslose auf Kreuzfahrtschiffen. „Was ist die Geschichte in drei Sätzen“, fragt Wolff. Die Redakteurin erzählt etwas von einem Casting und den harten Arbeitsbedingungen auf den Schiffen. „Pack ein“, brummt Wolff. „Das machen wir nächste Woche. Wir haben schon 48 Seiten Wirtschaft.“ Vermutlich meint er damit die gesponserte Beilage. Die Kollegin schiebt ihre Fotos zusammen und trollt sich. Wolff genießt hier Autorität.

Geboren wurde der Chefredakteur 1949 ausgerechnet in Bayern, in der Oberpfalz. Wolff wächst in der Kleinstadt Furth im Wald auf – drei Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. „Der Eiserne Vorhang lag unmittelbar vor meiner Haustür“, erzählt er. „Mich hat schon damals interessiert, was dahinter passiert.“

Während des Prager Frühlings bietet Wolffs Vater – ein Bus-Unternehmer – Reisen nach Prag an. Als die Sowjetunion die Demokratiebewegung niederschlägt, stecken die Touristen in der CSSR fest. Der 19-Jährige Wolff soll sie mit seinem sieben Jahre älteren Bruder aus dem besetzten Prag holen. Wolff fährt hin, sieht die Tschechen auf dem Wenzelsplatz demonstrieren und die Soldaten der Sowjetarmee aus ihren Panzerluken gucken. Die Männer sind so blutjung wie er selbst. Heute sagt Wolff: „Damals hat sich meine schicksalhafte Beziehung zum Osten entwickelt.“

Er bringt nicht nur die Touristen mit zurück sondern auch zahlreiche Fotos, die er einem Stern-Redakteur verkauft. Es ist Wolffs Einstieg in den professionellen Journalismus. Er absolviert eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München, wo er mit einer Reportage über ein Ost-West-Liebespaar glänzt. Anschließend beginnt er bei der Illustrierten Quick als Reporter. „Tageszeitung war mir zu langweilig“, sagt Wolff. „Fotos in Verbindung mit Text – das fand ich viel interessanter.“

Er erarbeitet sich den Ruf, ein Macher zu sein. Mit nur 31 Jahren steigt er bei der Quick zum stellvertretenden Chefredakteur auf. 1988 wechselt er als Redaktionsleiter zur Neuen Welt. Im März 1991 kommt er zur Super Illu nach Berlin. Das Blatt ist zu diesem Zeitpunkt ein Klatsch- und Busen-Magazin. „Scharfe Sekretärinnen aus Sachsen“ bevölkern die Zeitschrift, in der „das geheime Sex-Leben der roten Bonzen“ ausgebreitet wird und jede Menge Stasi-Verschwörungen blühen.

Doch Wolff ist noch kein Jahr dort, da haben die Ostdeutschen alle Liebesstellungen ausprobiert und die Auflage sackt weg. So positioniert er die Zeitschrift 1993 um. Aus dem Slogan „Aufregend frei“ wird die Unterzeile „Eine von uns“.

„Die Frauen haben die Hauptlast der Einheit getragen“, erzählt Wolff. „Als die Männer noch mit der Bierdose in der Hand und im Unterhemd vorm Fernseher über ihre verpassten Chancen jammerten, haben die Frauen schon angepackt. Und dann mussten sie jede Woche mit den vollbusigen Blondinen in der Super Illu konkurrieren. Das war einfach zu viel. Da haben wir das peu a peu reduziert.“

Heute ist Super Illu die vielleicht prüdeste Illustrierte der Republik. Das liegt auch an den Werbetreibenden. Wenn Wolffs Anzeigenverkäufer früher bei Mediaplanern vorsprachen, zeigten diese stets mit indigniertem Blick auf das „Girl der Woche“ – das letzte nackte Refugium seiner Zeitschrift. „Die Westdeutschen haben nie begriffen, dass hier jedes Mädchen an der Ostsee so rumläuft“, krittelt Wolff. Aber er beugte sich. Vor drei Jahren flog auch das „Girl der Woche“ raus.

Seither ist sein Blatt absolut familientauglich. Auch wenn es wohl am ehesten Senioren sind, die zur Super Illu greifen und sich mit ihr eng verbunden fühlen. Jede Woche erreichen die Redaktion hunderte Briefe, Faxe und E-Mails, die mit Formulierungen beginnen wie: „Als gestandener DDR-Bürger möchte ich mich mal zu unserer Super Illu zu Wort melden.“ Einen Teil dieser Briefe beantwortet der Chefredakteur persönlich. Und manche schaffen es sogar in seinen Videoblog mit dem Titel „Wolffs Revier“.

Zwei Stunden nach der Redaktionskonferenz baut die Volontärin zwei kleine Digitalkameras im Chefzimmer auf. Eine soll Wolff von Vorn aufnehmen, die andere von der Seite. Wolff setzt sich an seinen Schreibtisch. Hinter seinem Rücken lehnt ein handsigniertes Portrait von Roman Herzog gegen eine in Leder gebundene 26-bändige „Bibliothek des 20. Jahrhunderts“. Wolff trägt einen Leserbrief vor. Herr Bauer aus Suhl möchte etwas über den Mittagsschlaf wissen. Ist er nun gesund oder nicht?

„Lieber Herr Bauer“, sagt Wolff mit hochgekrempelten Hemdsärmeln. „Ich selber kann das nicht beantworten. Sie werden sich vorstellen: Ich habe keine Zeit für einen Mittagsschlaf.“ Aber er habe mit einem Experten telefoniert und der rate ausdrücklich zu dem Nickerchen, solange man nicht in eine Tiefschlafphase falle. „Mein Vorschlag“, resümiert der Chefredakteur, „in der Mittagspause ein kleines Schläfchen machen und danach Super Illu lesen.“

Die Szene wirkt in ihrer ganzen Biederkeit fast schon wieder rührend. Wolff kümmert sich um alles. Den Mittagsschlaf seiner Leser, Probleme mit Versicherungen oder zu hohe Heizkosten. Die Super Illu habe den anständigen Umgang mit den Ostdeutschen erfunden, hat Wolff einmal gesagt. Die Menschen hätten den arroganten und ironischen Ton der Westmedien satt. „Wir lieben unsere Leser. Und alles, was wir machen, ist eine Dienstleistung für sie“, doziert Wolff.

Die Beziehung hat allerdings einige Risse bekommen. Zwar ist die Reichweite der Super Illu so hoch wie nie, die Auflage aber bröckelt. Im Durchschnitt verkauft das Blatt jede Woche 450.000 Exemplare. Vor einigen Jahren waren es noch rund 600.000. „Auf dem flachen Land schließen immer mehr Läden. Es wird dort immer schwieriger, überhaupt eine Zeitschrift zu bekommen“, begründet Wolff den Rückgang. Dafür würden sich jetzt mehr Leser ein und dasselbe Heft teilen.

Er klingt nicht mehr wie der Ossi-Versteher, sondern wie ein Verlagsleiter. Wolff ist nicht nur Chefredakteur sondern auch Geschäftsführer der Super Illu. In dieser Funktion managt er auch die Magazine Das Haus und Guter Rat – eine Zeitschrift, die bereits in der sowjetischen Besatzungszone lizensiert wurde und seit der Wiedervereinigung bundesweit als Verbrauchermagazin Erfolg hat.

Die Geschäftsführung der verschiedenen Titel ist Wolffs wichtigster Posten. Sein Herz aber schlägt für seine „Illu“ – zum Leidwesen seiner Frau. „Sie ist nicht gut zu sprechen auf die DDR und das System“, sagt Wolff. „Sie kann es nicht ab, wenn ich versuche, einen Bogen der Verständigung zu schlagen. Sie ist von vielen Leuten genervt, die damals das Sagen hatten und sich jetzt wieder in der ersten Reihe tummeln. Das findet sie schwierig.“

Wolffs Frau ist in der DDR geboren und 1986 nach einigen Schikanen in die Bundesrepublik ausgereist. Die beiden lernten sich 1988 kennen. Damals ahnte niemand, dass der Oberpfälzer Wolff dem DDR-Rechtsanwalt Gregor Gysi einmal eine Kolumne einräumen und der DDR-Komikerin Helga Hahnemann einen Medienpreis widmen würde – die Goldene Henne. Als die Mauer gefallen war, dachten alle, bald krähe kein Hahn mehr nach DDR-Unterhaltung.

„Es wird immer Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland geben“, sagt Wolff. „Aufholen kann man ja nur, wenn der Andere stehen bleibt. Wenn der Andere weiter fährt, wird das Aufholen schon schwieriger.“ Er steht vor der großen Fotowand im Flur und zeigt auf ein Bild mit dem bärtigen Wolfgang Thierse. „Als wir miteinander gesprochen haben, kamen zwei Leute vorbei und sagten: Guck mal, das ist doch der Wolff von der Super Illu.“

Er freut sich wie Bolle über jede Form der Anerkennung. Während Chefredakteure aller möglichen Regionalzeitungen über die Befindlichkeiten des Ostens Auskunft geben, wird Wolff nur zu Jahrestagen interviewt. Das Schmuddel-Image klebt an seiner Zeitschrift wie Pech. Es geht ihm ein bisschen wie vielen Ostdeutschen: Sein Lebenswerk, die Neuausrichtung der Super Illu, wird im Westen anders bewertet als von ihm selbst.

Die DDR-Fernsehlegende Herbert Köfer hat über Wolff gesungen: „Auf ihn, da kann man wirklich super zählen.“ Wo hat es so etwas im Westen gegeben? Dass ein Prominenter einen Chefredakteur besingt? „Das machen nur ehemalige DDR-Bürger“, brummelt Wolff. Nein, es war nicht alles schlecht. Und wenn er darüber nachdenkt, ist er seinen Lesern ganz nah.

Über ralfgeissler

Journalist

01. Oktober 2009 von ralfgeissler
Kategorien: Medien | Schreibe einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert


* Copy This Password *

* Type Or Paste Password Here *