Die fesche Lola

An der Seite von Jörg Thadeusz präsentiert Annette Gerlach die RBB-Talkshow „Dickes B.“ In Frankreich kennt sie bereits jeder. Denn Gerlach moderiert auf Arte nicht nur fließend französisch, sie erinnert auch an eine deutsche Schauspielerin.

journalist 01/2010

Man soll Texte über kluge Frauen ja nicht mit ihrem Aussehen beginnen. Aber bei Annette Gerlach drängt es sich einfach auf. Wenn man die 45-Jährige das erste Mal trifft, denkt man sofort: Sie ähnelt Marlene Dietrich. Genauso schlank, genauso blond, genauso kokett. Die gleiche widersprüchliche Mischung aus viel Eleganz und Berliner Schnauze. Ihre Stimme klingt nach dunklem Rotwein, nach Bitterschokolade und Gauloises. Und wenn sich Annette Gerlach durch Berlin bewegt, dann läuft sie nicht, sie schreitet – oder nimmt ein Taxi.

„Den Vergleich höre ich öfters“, sagt Gerlach. Sie sitzt im Restaurant Tomasa in Berlin Zehlendorf. Vor ihr ein Salat-Teller mit Lamm-Filet. Das Tier war vermutlich nicht mehr ganz jung. Gerlach kaut tapfer auf dem zähen Fleisch herum und nuschelt dann: „Reden wir doch einfach mit vollem Mund. Die Franzosen sehen das auch nicht so eng. Die reden immer beim Essen.“ Dann lacht sie beherzt. Und man fürchtet, dass sie sich gleich verschluckt.

Seit Herbst moderiert Gerlach jeden Monat mit Jörg Thadeusz die RBB-Talkshow „Dickes B.“ Es ist ein fröhlicher Freitagabend-Talk aus dem Berliner Tipi. Prominente Gäste plaudern, spielen und musizieren mit dem Babelsberger Filmorchester. Gerlach passt mit ihrer mondänen Art gut ins Programm. Sie ist in der Talkrunde die fesche Lola, Thadeusz der trockene Humorist. Sie ergänzen sich.

Ursprünglich sollte Gerlach nur eine einmalige Gastmoderation neben Thadeusz übernehmen. Doch die erste gemeinsame Sendung gefiel den Verantwortlichen so gut, dass sie Gerlach bis zum nächsten Sommer verpflichteten. Seitdem versucht sie in ihrer Wohnung irgendwie den RBB auf den Bildschirm zu bekommen. „Damit ich den Sender besser kennen lerne.“ Wenn der Fernseher dann läuft, kann sie sich in ihre Badewanne legen und schmettern: „Ich hab‘ noch einen Koffer in Berlin“.

Denn ihr Lebensmittelpunkt liegt ganz woanders. Seit mehr als zwanzig Jahren wohnt Gerlach in Frankreich. Dort ist sie eine Berühmtheit. Zeitungen haben Portraits über sie geschrieben. In Paris wird Gerlach auch mit Helm und Brille auf ihrer Vespa erkannt. Für die Franzosen ist sie das Gesicht von Arte. Der Kulturkanal erreicht dort deutlich mehr Zuschauer als hierzulande. Und Gerlach ist im Programm die einzige Deutsche, die nicht nur in ihrer Muttersprache sondern auch auf Französisch moderieren kann.

Zehn Tage im Monat steht sie für die tägliche Sendung „Arte Kultur“ vor der Kamera. Die Quoten sind eher mäßig. Aber das liegt auch daran, dass „Arte Kultur“ exakt 20 Uhr beginnt. „Wir sind die härteste Konkurrenz der Tagesschau“, sagt Gerlach und lacht wieder schallend.

Sie mag Ironie. Auch Selbstironie. Nur beim Wort Diva versteht sie keinen Spaß. Unter keinen Umständen will sie so genannt werden. „Die Zeit der Diven ist doch vorbei“, winkt Gerlach ab. Das macht es ein bisschen schwierig, sie zu beschreiben. Im vergangenen Februar hat sie den Teddy-Award moderiert, den schwul-lesbischen Filmpreis auf der Berlinale. Da stand sie auf der Bühne wie der blaue Engel im langen Kleid, kündigte den besten „Drag-Act der Welt“ an und das Publikum jubelte. Vielleicht gefällt ihr „Grande Dame“ besser. Frau von Welt. Man muss nur fünfzehn Sekunden Arte gucken, um diesen Eindruck zu gewinnen. Da schmettert sie zu Beginn ihrer Kultur-Sendung beherzt in die Kameras: „Herzlich willkommen! Ravie de vous retrouver!“

Die ehrwürdige Academie Francaise hat Gerlach vor vier Jahren die „Medaille Richelieu“ verliehen – für die Verteidigung der französischen Sprache. „Ich habe die Auszeichnung sicher nicht bekommen, weil ich so gut, sondern weil ich so leidenschaftlich Französisch spreche“, sagt Gerlach und blickt aus dem Fenster. „Als ich hier in Zehlendorf aufs Gymnasium gegangen bin, ist meine Französischlehrerin noch an mir verzweifelt.“

Am 18. Oktober 1964 wurde Annette Gerlach in Westberlin geboren. Ihre Mutter blieb für die Erziehung der beiden Töchter zehn Jahre zu Hause. Der Vater lehrte Jura an der Freien Universität und stieg später zum Rektor auf. Dass auch Annette Gerlach studieren würde, stand außer Frage. Sie hat sich für Kunst interessiert, für Musik und Theater. „Aber ich hatte einfach kein Talent“, sagt sie. Und so schreibt sich Gerlach für Wirtschaftswissenschaften ein. Nebenbei jobbt sie in Berlin-Charlottenburg in „Fofi’s Bar“. Am Tresen, so erzählt man sich, habe mitunter auch ein gewisser Otto Schily gestanden und ihr schöne Augen gemacht.

Doch Gerlachs Liebe fällt woanders hin. Während eines Praktikums in Paris verguckt sie sich in einen italienischen Maler und bleibt mit ihm in Frankreich. Sie bricht ihr Wirtschaftsstudium ab, vertieft ihre Sprachkenntnisse und hospitiert beim Magazin „Nouvelle Observateur“. Dort verschafft sie sich schnell Respekt. Ein Kollege raunt ihr zu: Du bist ja gar keine richtige Deutsche. Als in Berlin die Mauer fällt, kann Gerlach als einzige in der Redaktion das Geschehen aus Berliner Sicht bewerten. Sie schreibt Artikel über die erste Öko-Bank in Frankfurt am Main und reist für eine Recherche nach Straßburg. Dort soll ein deutsch-französischer Fernsehsender gegründet werden: Arte.

„Die haben mich gleich da behalten“, sagt Gerlach. Sie fängt 1992 in der Pressestelle an. Zwei Jahre später präsentiert sie auf dem Bildschirm das Gesellschaftsmagazin „Confetti“. Weil die Sendung eingestellt wird, moderiert sie anschließend bei vier französischen Nischensendern, kehrt dann aber zu Arte zurück. So beginnt ihr Fernsehruhm. „Auf einmal gab es Autogrammkarten, Zuschauerbriefe“, erinnert sich Gerlach. „Ich dachte schon, mein Leben ist gelaufen. Plötzlich erfüllten sich Mädchenträume. Seitdem erlebe ich jeden Tag vor der Kamera wie ein unverhofftes Geschenk.“

Ein Donnerstag Nachmittag in Berlin Kreuzberg. Im zweiten Stock der ehemaligen Sarotti-Schokoladenfabrik versammelt sich die Redaktion von „Dickes B.“. Neben Einbauküche und Bücherregal steht ein weißer Konferenztisch. Rundherum nehmen auf bunt lackierten Holzstühlen die Mitarbeiter Platz. Gerlach setzt sich direkt neben Jörg Thadeusz. „Zeigt das Bild über Deinem Schreibtisch eine Ministerin“, fragt sie. „Nein, nein“, erwidert Thadeusz. „Das ist Dagmar Reim. Die Intendantin.“ Gerlach lacht. Als Wahlfranzösin kann man nicht jeden kennen.

Die Redaktion bespricht die Sendung für den nächsten Tag. Während Regie und Sendeleiter darüber grübeln, welche Bauchbinden eingeblendet werden, plaudern Gerlach und Thadeusz angeregt über die letzte Ausgabe von „Wetten, dass…“. Nach fünf Minuten schimpft der Redaktionsleiter: „Annette und Jörg, ich setze Euch gleich auseinander.“ Beide verstummen kurz. Doch die fröhliche Unruhe bleibt. Nach neunzig Minuten kann man nicht so richtig sagen, wann die Sitzung offiziell zu Ende war.

Am nächsten Abend präsentiert das Duo trotzdem die bislang beste gemeinsame Sendung. Die erste Ausgabe war gut. In der zweiten hatten die männlichen Gäste irgendein Problem mit Gerlach. Da saß zum Beispiel der Musiker und Moderator Götz Alsmann in der Runde. Gerlach fragte ihn, warum er denn keinen modernen Pop möge. Statt zu antworten, schimpfte Alsmann: „Ich wundere mich, dass wir Unterhaltungsmusiker immer mit dieser Frage konfrontiert werden.“ Am Ende rettete Jörg Thadeusz seine Co-Moderatorin, indem er den etwas erregten Gast angrinste und sagte: „Es geht gerade so etwas Talibaneskes von Ihnen aus.“ Wenig später forderte Gerlach alle Gäste auf, zu erzählen, wo jeder gern ein Praktikum machen möchte. Wieder bekam sie keine Antwort. „Ich war nicht in Form“, sagt Gerlach. „Und auch etwas unsicher. Nach unserer ersten Sendung hieß es, ich lache zu laut.“

Damit sie die Talkshow im RBB präsentieren kann, hat Gerlach ihre Arbeit für Arte auf eine halbe Stelle reduziert. Trotzdem wird man sie weiterhin zwei Wochen pro Monat im Kulturkanal sehen. Wenn Arte am 11. Januar sein Sendeschema den deutschen Gewohnheiten anpasst, moderiert Gerlach ab 19 Uhr das halbstündige „Arte Journal“ – eine neue Nachrichtensendung, die aus „Arte Info“ und „Arte Kultur“ hervorgehen soll.

Vielleicht wird sie dann auch in Deutschland stärker wahrgenommen. Bislang sind hierzulande erst zwei ausführliche Texte über sie erschienen. Ein Artikel stand vor fast sieben Jahren in der FAZ und schilderte sie als etwas eitle, dauerplappernde Moderatorin. Das hat ihr gar nicht gefallen. Der andere Text ist noch älter und stammt vom Schriftsteller Marcus Hammerschmitt. Eine Liebeserklärung. Hammerschmitt schreibt darin: „Ihr Mund ist sehr sinnlich. Wenn sie lächelt, geht es der Nachricht durch Mark und Bein, und mir erst recht.“ Das fand Gerlach süß. Und komisch. „Der schönste Text, der jemals auf Deutsch über mich geschrieben wurde.“

Sie mag große Gefühle, Romantik. Gerlach liebt auch Opern. Besonders La Traviata und Carmen. Im Dezember hat sie für Arte die Saisoneröffnung der Scala in Mailand moderiert. Solche Veranstaltungspräsentationen übernimmt sie für den Sender öfters. Ende der neunziger Jahre stand sie sogar bei der Love-Parade in Berlin vor der Kamera.

Seit einigen Jahren lebt Gerlach mit dem amerikanischen Orchesterdirigenten John Axelrod zusammen. Mit der gemeinsamen Tochter lernt sie jetzt Klavierspielen. „Ich habe nicht vor, Pianistin zu werden. Aber ich will wenigstens die Noten zum richtigen Zeitpunkt umblättern können, wenn mein Kind spielt.“ Nach diesem Satz lacht sie nicht. Sie lächelt. Und dann bittet sie, private Details auf das Nötigste zu beschränken. Sie fragt sich laut, ob sie nicht zu viel verraten habe. „Ich bin selbstbewusst“, sagt Gerlach und zündet sich eine Zigarette an. „Aber ich bin nicht ohne Selbstzweifel.“

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01. Januar 2010 von ralfgeissler
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