Schwiegermutters Traum

Nach mehr als 20 Jahren gibt Günther Jauch die Moderation von Stern TV ab. Sein Nachfolger ist Steffen Hallaschka. Mit ihm verliert die ARD eines ihrer größten Talente, das bislang vor allem im Verborgenen glänzte.

journalist 01/2011

Steffen Hallaschka steht auf einer nassen Wiese in Hamburg und fragt sich, wie alt er ist. Der Moderator soll sich den Zuschauern von RTL vorstellen. Aber will der Sender die Aufzeichnung nun vor oder nach seinem 39. Geburtstag zeigen? „Machen wir zwei Varianten“, rät der Pressesprecher. „Immer dieser Borderline-Journalismus“, entgegnet Hallaschka, blickt in die Kamera und sagt: „Hallo, mein Name ist Barbara Eligmann. Ich bin 47 Jahre alt.“ Dann presst er die Lippen zusammen und unterdrückt ein Grinsen.

Hallaschka – ein fast zwei Meter großer Schlacks mit markanten Ohren – wird vielleicht nie die Tagesthemen präsentieren, aber als Nachfolger von Günther Jauch eignet er sich wie kein Zweiter. Er ist ein smarter Schelm. Kein Model-Gesicht, aber fernsehtauglich. Am 12. Januar übernimmt Hallaschka die Moderation von Stern TV, die Jauch nach mehr als 20 Jahren abgibt. Die Sendung hat drei Millionen Zuschauer – ein großes Erbe. „Wenn ich nicht gefragt worden wäre, hätte ich von selber meine Hand gehoben“, sagt Hallaschka lässig. „Stern TV ist mein Traumformat.“

Für seine neue Aufgabe muss er sich thematisch kaum umstellen. Seit viereinhalb Jahren moderiert Hallaschka das Verbrauchermagazin Markt im NDR. In einer seiner letzten Sendungen informierte er über Abzocke beim Städteverlag und ging der Frage nach, ob der Euro ein Preistreiber sei. Er kündigte einen Test ungewöhnlicher Küchengeräte an und moderierte die Rubrik „Markt mischt sich ein“ mit den Worten ab: „Wenn zwei sich streiten, freut sich das Dritte.“ Hallaschka kann ironisch sein, ohne abzuheben, jungenhaft, ohne unseriös zu wirken, schlagfertig, ohne zu verletzen.

Eine typische Pose von Günther Jauch? „Das würde ja heißen, dass Jauch ein Poser wäre“, erwidert Hallaschka und faltet als Antwort eine Moderationskarte exakt in der Mitte. Und der typische Hallaschka? „Früher haben Zuschauer angerufen und gefragt: Warum rudert der immer so mit den Armen?“ Dann nimmt er ein zweites Kärtchen und rollt es zusammen. „Ich mache das mit den Karten anders.“ Jauch, der Falter. Hallaschka, der Roller. Auch eine Möglichkeit, Unterschiede zu beschreiben, wo es auf den ersten Blick kaum welche gibt. Ein Schwiegermutter-Traum löst den anderen ab.

Vor neun Jahren, als seine Fernsehkarriere noch jung war, hat Hallaschka einen Aufsatz über Identität und Authentizität im Fernsehen geschrieben. Er erzählt darin, dass Moderatoren immer zwei Persönlichkeiten haben: eine öffentliche und eine nicht-öffentliche. „Es ist die große Kunst der Moderation, im Fernsehen nahbar zu sein“, schreibt Hallaschka. „Und trotzdem tut ein Moderator gut daran, am Ende doch nur die eigene Medienperson in den Ring zu schicken. Eine Person, die zwar Teil seiner Identität sein mag, aber nie mit ihm identisch sein sollte.“

Es ist ein kluger Text. Und kurioserweise ramponiert Hallaschka mit ihm das romantische Bild, das man als Zuschauer von ihm schnell gewinnt. Dass da einer steht, der authentisch und privat bestimmt genauso gut gelaunt ist wie im Fernsehen. Wie viel Inszenierung in dieser Rolle steckt, wie oft er heimlich flucht oder heult, wird das Publikum nie erfahren. „Ich bewundere Jauch und Stefan Raab dafür, wie sie ihr Privatleben mit großer Disziplin schützen“, sagt Hallaschka. „Homestorys wird es von mir nicht geben.“

Einmal hat er doch ein Familienmitglied ins Fernsehen geholt. Das war vor sieben Jahren, als er für den WDR die Sendung Kanzlerbungalow moderierte – ein launiges Politikformat für junge Erwachsene aus dem muffigen Bonner Betonklotz, in dem Helmut Schmidt und Helmut Kohl jahrelang mit ihren Familien wohnten. Zwischen den Einspielern rief Hallaschka seine Mutter an. „Schon beim Casting stand mitten im Raum ein Telefon“, erinnert er sich. „Und ich dachte: Was machst du jetzt damit? Ich konnte ja schlecht irgendein Ministerium anrufen und fragen, ob sie mal schnell den Minister holen. Und da kam mir die Idee. Als langjähriges SPD-Mitglied konnte meine Mutter über den Zustand der Sozialdemokraten mehr erzählen, als mancher Spitzenpolitiker.“

Die Mutter hat drei Söhne groß gezogen – darunter auch den heutigen Merian-Chefredakteur Andreas Hallaschka. Bruder Steffen ist der jüngste, geboren am 11. Dezember 1971 in Kassel. Der Vater arbeitet als Lehrer und sitzt zeitweise im Stadtparlament. „Politik war immer ein großes Thema in unserer Familie“, sagt Hallaschka. An Wahlabenden laufen im Wohnzimmer zwei Fernseher gleichzeitig, um keine Hochrechnung zu verpassen.

Als Jugendlicher engagiert er sich in der Schülervertretung, quält in der Rockband Zoff sein Keyboard und spielt Theater. In der Bettler-Oper mimt er den Frauenhelden und Wegelagerer Macheath. Im Dezember 1989 schickt der Theaterlehrer ihn nach Frankfurt, wo der Hessische Rundfunk Mitarbeiter für sein neues Jugendmagazin Radio unfrisiert sucht. Eine der ersten Sendungen bilanziert die 80er Jahre. „Ich weiß noch, dass ich mich sehr betroffen über den Anstieg der Drogentoten in Kassel geäußert habe“, erinnert sich Hallaschka und lächelt.

Er lehnt in einem hellen Sessel in der Suite eines Hamburger Hotels. Auf einem A4-Blatt am Eingang steht „RTL-Interviewtag“. Der Sender hat Journalisten hierhin eingeladen, damit sie Hallaschka einzeln befragen können. Es ist ein bisschen wie beim Arzt. Eine sterile Umgebung. Als man kommt, ist schon einer drin. Als man geht, wartet bereits der Nächste. Und am Empfang gibt es Illustrierte und Gratisäpfel.

Hallaschka plaudert über seine erste Fernsehsendung. Nach der Moderation von Radio unfrisiert holt ihn eine Kollegin 1996 zur Deutschen Welle. Dort präsentiert er die Jugendsendung 100 Grad. Bei Youtube kann man noch einen Ausschnitt finden. Da läuft Hallaschka in dunklem Hemd mit rosa Schuhen durchs Studio, hält einen künstlichen Totenkopf in der Hand und erinnert mit seinen kurz geschorenen Haaren ein bisschen an den Pop-Literaten Benjamin von Stuckrad-Barre. Darauf angesprochen lacht Hallaschka. „Die größte Verfehlung von 100 Grad war, dass ich mir meine Klamotten selbst aussuchen durfte.“

Der zweite Youtube-Film zeigt ihn im November 2008 schon beim NDR. Er trägt einen schwarzen Anzug und spricht über Kamine fürs Eigenheim. „Nicht nur der Brennstoff ist eine heikle Wahl, sondern auch der Ofen an und für sich“, sagt Hallaschka. „Ich freue mich also über ein regelrechtes Kamingespräch. Bei uns ist ein leibhaftiger Schornsteinfeger.“

Zwischen beiden Aufzeichnungen liegen Welten. Und trotzdem wirkt Hallaschka in jeder glaubwürdig. Dass ihm der Sprung vom Jugendformat zum Verbrauchermagazin gelungen ist, ist vielleicht seine größte Leistung.

„Steffen hat schon immer sehr präzise gearbeitet“, sagt Holger Klein. „Ich war der hüpfende Hampelmann und er der fast schon übervorbereitete Kollege.“ Gemeinsam haben sie beim Jugendradio Fritz bis 2003 die Morningshow moderiert. Das Duo nannte sich „Horkheimer und Adorno der deutschen Radiounterhaltung“, weil es immer hintergründig sein wollte – auch beim Humor. „Wir haben den Hörern erzählt, dass wir zusammen baden“, erinnert sich Klein. Zu Geplätscher aus dem Geräusche-Archiv sangen sie Hits nach. Die deutschen Titel auf Englisch und die englischen Titel auf Deutsch. Ein schaurig-schönes Herumgealber. Hörer, die den Song errieten, konnten CDs oder Konzertkarten gewinnen. In einer ihrer letzten gemeinsamen Sendungen moderierten die Jungs auf Helium und redeten wie die Schlümpfe. „Die Kopfschmerzen danach werde ich nie vergessen“, sagt Klein.

Bis 2008 steht Hallaschka immer wieder hinter einem Radiomikrofon – parallel zu seinen Fernsehengagements. Nebenbei studiert er europäische Ethnologie, Soziologie und Amerikanistik in Frankfurt und Berlin. Zwölf Jahre lang. „Es gab einige Semester, da habe ich nur meine Gebühr bezahlt“, sagt Hallaschka. Bei Prüfungen hilft ihm seine journalistische Kompetenz: Inhalte zügig erfassen, wiedergeben – vergessen. Die Diplomarbeit nimmt er dagegen sehr ernst. Sie beschäftigt sich mit Reality TV am Beispiel von Big Brother.

Vom zügigen Studium hält ihn auch Wiegald Boning ab. Der Komiker soll mit Hallaschka 1999 eine Frühstücks-Comedy für ProSieben moderieren. Slogan: die erste Late-Night-Show des Tages. „Offensichtlich waren alle anderen im Casting noch unwitziger als ich“, wundert sich Hallaschka noch heute über sein Engagement. Jeden Morgen schleichen sie übermüdet in die Fernsehstudios, wo ein Redakteur die Bild-Zeitung bereits nach Gags durchforstet. Hallaschka fühlt sich in dem Format unwohl. „Es war ein Segen, dass ich da so wenig Schaden genommen habe“, sagt er. Nach vier Monaten setzt ProSieben die morgendliche Comedy wieder ab.

Ein Jahr später schreibt Hallaschka seinen Aufsatz über die Identität von Moderatoren. „Ja, es gibt diese stillen, zurückgezogenen Momente des Zweifels“, beginnt der Text. „Momente, in denen ich mich frage, was für einen bekloppten, halbseidenen Beruf ich mir da gesucht habe: Moderator.“

Hallaschka sagt, er habe fortan immer intensiv darüber nachgedacht, ob eine Sendung wirklich zu ihm passe. Auch als der NDR ihn zu Markt holen wollte, habe er überlegt, ob er Haustürgeschäfte mit wehrlosen Rentnern wirklich zu seinem Thema machen wolle. Heute sagt er, die Sendung habe seine Leidenschaft für Verbraucherjournalismus geweckt. „Wir sind zu einem der jüngsten Magazine im NDR-Fernsehen geworden.“ Hallaschka lockte nicht nur geprellte Renter vor die Bildschirme, sondern auch Familienväter, die wissen wollten, welche Winterreifen etwas taugen.

Über die Jahre ist der ARD mit Hallaschka ein großes Talent herangewachsen, ein Moderator, der seinen Job als journalistische Herausforderung begreift, Humor hat, bei aktuellen Themen mitreden kann und seine Texte selbst formuliert. Doch die Sendergruppe wusste nicht so recht, wie sie ihn fördern soll. Ab und an durfte Hallaschka im Ersten den ARD-Ratgeber Technik moderieren. Er präsentierte das Magazin Polylux während der ersten Schwangerschaft von Tita von Hardenberg und sprang als Aushilfe in der NDR-Talkshow ein. Nun geht er zu den Privaten. Dafür wird Günther Jauch im Herbst den Sonntagabendtalk in der ARD übernehmen. Doch am Ende ist der Wechsel ein Nullsummenspiel. Ein Quotengarant kommt, ein junges Talent geht.

Vom Hamburger Michel läuten die Glocken zur Mittagspause. Es beginnt zu nieseln, das Kamerateam will nach Hause. Nach seinem Barbara-Eligmann-Scherz stellt sich Hallaschka dem RTL-Publikum schnörkellos einmal als 38-Jähriger und einmal als 39-Jähriger vor. „Lasst uns vielleicht vorsorglich bis 45 machen“, witzelt der neue Stern-TV-Moderator. „Falls Günther Jauch es sich noch einmal anders überlegt.“ Er kneift wieder seine Lippen zusammen. Verschmitzt grinsend – und wirkt ein bisschen überdreht.

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01. Januar 2011 von ralfgeissler
Kategorien: Medien | Schreibe einen Kommentar

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