Grenzgänger

Jan Spielhagen ist dreifacher Chefredakteur. Er leitet die Kundenmagazine von Deutscher Bahn und Volkswagen. Zugleich verantwortet er Beef! – eine Kochzeitschrift für Männer. Spielhagen bewegt sich ständig zwischen Unternehmens-PR und Lebensgefühl-Journalismus. Wie sieht er das selbst?

journalist 07/2011

Für einen Moment denkt man, Jan Spielhagen wäre auch ein passabler Bahn-Sprecher geworden. „Wissen Sie, wie viele Passagiere die Deutsche Bahn im Vergleich zur Lufthansa befördert“, fragt er und lächelt höflich, als man total daneben tippt. „Jeden Tag fahren so viele Menschen Bahn wie in einem Jahr mit der Lufthansa fliegen“, sagt er. Da soll noch einer behaupten, der Schienenverkehr in Deutschland sei unbeliebt.

Spielhagen – 40 Jahre, blaues Hemd, dicke Armbanduhr – sitzt in seinem Büro bei Gruner + Jahr unweit des Hamburger Hafens. Im gleichen Haus haben auch die Henri-Nannen-Schule und das Netzwerk Recherche ihre Räume. Am Fenster steht neben der Espresso-Maschine ein Schild mit der Aufschrift „Zukunft bewegen. Das Leitbild des DB-Konzerns“. An der Wand hängt eine Liste mit Namen von Prominenten: Anna Engelke, Jogi Löw, Heike Makatsch. Ihre Gesichter sollen in den nächsten Monaten auf der Titelseite von mobil erscheinen – dem Kundenmagazin der Bahn. Jan Spielhagen ist dessen Chefredakteur.

Seit anderthalb Jahren leitet er das Heft, das Reisende im Fernzug unterhalten soll. Für die Macher ist es eine Gratwanderung. Einerseits muss mobil interessant sein, andererseits will sich die Bahn als Auftraggeber darin wiederfinden. Für jede Ausgabe muss sich Spielhagen zwei Mal das Okay aus der Konzernzentrale holen. Zuerst spricht er die Themen ab und abschließend lässt er sich die Druckfahnen genehmigen. „Im Vergleich zu Kaufzeitschriften gibt es einen mehr, der mitredet“, sagt der Chefredakteur. „Das macht das Arbeiten nicht schlechter, nur anders.“

Das klingt nach Schönreden von PR-Strategien. Andererseits könnten die meisten Texte aus mobil in jeder Illustrierten stehen. Prominenten-Porträts, Reisegeschichten, Buchvorstellungen – alles nett zu lesen und leicht verdaulich. Investigative Themen gibt es in dem Kundenmagazin nicht. „Wir bringen auch keine Artikel, in denen die Bahn ihre Fehler betont“, sagt Spielhagen. „Wir drucken aber Texte, in denen sie ihre Fehler erklärt – zum Beispiel wenn es wegen einer Gleisbaustrecke zu Verspätungen kommt.“

Er spricht wie ein Diplomat. Und man wundert sich darüber. Weggefährten haben Spielhagen ganz anders beschrieben: Burschikos, fröhlich und voller Leidenschaft. In einem Porträt über ihn aus dem Jahr 2009 steht, er neige zur Zuspitzung. Das stimmt auch noch. Allerdings muss man dafür das Thema wechseln, zum Beispiel zu Beef! – einem Kochmagazin „für Männer mit Geschmack“, wie es im Untertitel heißt. Auch dort ist Spielhagen Chefredakteur.

Das von ihm entwickelte, opulent bebilderte Magazin liegt vier Mal jährlich am Zeitungskiosk aus. Die aktuelle Ausgabe trägt den Titel „So werden Sie zum Grill-Gott“. Die Redaktion gibt Tipps zum selber wursten, verrät auf 16 Seiten alles über Bier und thematisiert „Sex in der Küche – Was Männer wollen und Frauen fürchten“. Im April war Spielhagen für Beef! in Istanbul, um sich die orientalische Küche anzusehen. Ein Höhepunkt der kulinarischen Reise: lauwarmes Lammhirn.

„Das sieht aus, wie man es sich vorstellt“, sagt er und öffnet auf seinem Computer die Beef!-Facebook-Seite, auf der er ein Foto der Spezialität veröffentlicht hat. In einem weißen Schälchen liegt auf Tomate und Zitrone gebettet ein Gehirn – gekrönt von drei Spitzen Dill. „Das ist streichfähig wie Leberwurst“, sagt Spielhagen. Mehr als 40 Leser haben das Bild kommentiert. Am Witzigsten fand der Chefredakteur den Eintrag: „Igitt. Dill …“

Beef! ist ein Nischenprodukt, ein Lebensgefühl-Magazin für Kerle mit gutem Einkommen, die gern kochen und gegenüber Fremden schnell beim Du sind – also für Männer wie Jan Spielhagen. Der Erfolg ist beachtlich. Nach Angaben von Gruner + Jahr verkauft sich jede Ausgabe mehr als 50.000 Mal. Dabei kostet das Magazin am Kiosk stolze 9,80 Euro.

„Wir müssen den Lesern immer wieder beweisen, dass es sich lohnt, so viel Geld auszugeben“, sagt Spielhagen. Sollte die Auflage irgendwann sinken, wird er Diskussionen im Verlag über den Fortbestand von Beef! kaum verhindern können. Er hat schon Lifestyle-Zeitschriften sterben sehen. „Der Kiosk kann gnadenloser sein als der Auftraggeber einer Kundenzeitschrift“, sagt er. „Bei mobil werde ich nie eine Auflagendiskussion bekommen.“ Das sind die zwei Welten, zwischen denen er sich bewegt.

Man könnte Spielhagen einen „MuFuCh“ nennen – einen Multifunktionschefredakteur. Als dritten Posten leitet er auch noch das Volkswagen Magazin. „Dort mache ich genau das gleiche wie bei mobil“, sagt er. „Die Themen, die Konferenzen bei Kunden, Anzeigentermine und so weiter.“ Das Heft erscheint allerdings nur einmal im Quartal. Die Häufung an Verantwortlichkeiten ist typisch für Gruner + Jahr. Schon Klaus Liedtke war im Verlag von 1999 bis 2007 sowohl Chefredakteur von National Geographic Deutschland als auch vom Lufthansa Magazin.

Vor wenigen Monaten hat Spielhagen die Bahn-Kundenzeitschrift optisch aufgefrischt. Das Logo von mobil verlor seinen roten Hintergrund, die Titelgeschichte steht nun nicht mehr auf den vorderen Seiten, sondern in dem Heftteil, zu dem sie thematisch am Besten passt. Hauptmotivation für den Relaunch: Im Herbst hat die Bahn den Auftrag für die nächsten zwei Jahre neu ausgeschrieben. Jeder Verlag konnte sich darum bewerben, mobil zu machen. Spielhagen stellte sein Konzept persönlich beim Vorstand vor.

„Unsere Heft-Philosophie lautet nun: Wir lieben Deutschland“, sagt er. Das klingt nicht originell aber massentauglich. Die Anzahl der Bahn-Themen im Heft ist nach dem Relaunch gleich geblieben. Der Konzern will beim Inhalt aber mehr mitreden als früher. Manche Mitarbeiter führen es auf den neuen Bahn-Vorstand zurück. Darauf angesprochen zuckt Spielhagen mit den Schultern. „Das kann ich nicht einschätzen“, sagt er. „Zu Zeiten des alten Vorstands war ich ja noch nicht hier.“

Geboren wurde Jan Spielhagen am 6. März 1971 als Sohn zweier Lehrer in West-Berlin. Nach dem Abitur beginnt er ein Praktikum beim Boulevardblatt B.Z. Der Axel Springer Verlag bietet ihm daraufhin ein Volontariat an. „Ich wusste zuerst gar nicht, was das ist – ein Volontariat“, sagt Spielhagen. Er verzichtet auf ein Studium und lässt sich bei Springer zum Redakteur ausbilden. 1999 wechselt er zur Männerzeitschrift Men’s Health, wo er erst Textchef und ein Jahr später stellvertretender Chefredakteur wird.

Ein Fitness-Junkie ist er trotz der sportiven Ausrichtung des Magazins schon damals nicht. Im Gegenteil. Statt von Bauchmuskeln träumt er von einer exklusiven Kochzeitschrift für Männer. Spielhagen will sie Men’s Health beilegen, doch die Verantwortlichen bremsen ihn aus. Waschbrettbäuche auf der Titelseite und eine Genuss-Beilage – das passe nicht zusammen. Stattdessen arbeitet er an der Entwicklung von Men’s Car mit – einer Zeitschrift, die laut Spielhagen „nicht fragt wie gut, sondern wie geil ein Auto ist“. Außerdem übernimmt er die Leitung des Ablegers Mens‘ Health Best Fashion.

Anfang 2008 wechselt Spielhagen zu Gruner + Jahr und wird Chefredakteur von Healthy Living. Als der Verlag den Ideen-Wettbewerb „Grüne Wiese“ ausruft, erinnert er sich an seinen Traum vom Kochmagazin, entwirft mit drei Kolleginnen das Konzept für Beef! und belegt unter 380 Bewerbungen den ersten Platz.

„Da war Feuer im Team“, erinnert sich Julia Jäkel. Das habe man auch an den Reaktionen im Publikum während der internen Präsentation gemerkt. Die Verlagsgeschäftsführerin hält sehr viel von Spielhagen. „Er ist ein Chefredakteur mit ausgeprägtem Sinn für Optik, ein Ästhet und gleichzeitig starker Texter“, sagt sie. Spielhagen lebe seine Produkte. „Wenn es in Beef! ums Selber-Räuchern geht, dann probiert er das vorher zu Hause aus.“ Manchmal habe sie deshalb ein wenig Mitleid mit seiner Frau.
Der Sieg bei der „Grünen Wiese“ 2009 sichert Spielhagen die Weiterbeschäftigung im Verlag. Denn er ist gerade ein Jahr Beef!-Chefredakteur, da stellt Gruner+Jahr das erfolglose Healthy Living ein und verkauft die Titelrechte. Bis heute besteht das Beef!-Team aus Spielhagen und drei Mitarbeiterinnen seiner früheren Redaktion. Das Männerheft wird also überwiegend von Frauen gemacht.

Vielleicht mögen es die Leser gerade deshalb. Mitunter schicken sie der Redaktion Pakete mit Selbstgekochtem. Kürzlich kam tiefgefrorenes Sauerfleisch bei Spielhagen an. „Ich weiß gar nicht, ob ich das probieren sollte, oder ob das ein Attentat ist“, sagt er. In seiner Rolle als mobil-Chefredakteur lebt er jedenfalls ungefährlicher. Da muss er nur die aufgewärmte Kost des Bordrestaurants überstehen.

Wenn Spielhagen in die Bahn-Zentrale fährt, nimmt er stets einen Zug, der ihm einen zeitlichen Puffer lässt. „Eine Zug-Verspätung ist keine gute Ausrede“, sagt er. Die Bahn legt Wert auf Pünktlichkeit. Zumindest bei ihren Geschäftspartnern. Die Kundenzeitschrift hat im Vorstand heute einen höheren Stellenwert als noch vor zwei Jahren. Dank guter Anzeigenerlöse trägt sie sich für für den Auftraggeber inzwischen fast von selbst.

Produziert wurde mobil immer von Gruner + Jahr. Zur Gründung war es eines der ersten großen deutschen Kundenmagazine überhaupt. Inzwischen hat die Gruner + Jahr-Verlagstochter Corporate Editors mehr als 30 Auftraggeber, verantwortet das Anlegermagazin compass für die comdirect Bank, den Umzugsratgeber Neues Zuhause für die Deutsche Post und Ikea Family Live. Längst gibt es nicht mehr den einen Grafiker für die eine Kundenzeitschrift sondern Grafikpools, die mehrere Titel bedienen. Als Chefredakteur muss Jan Spielhagen immer wieder Konzepte mit erarbeiten – um neue Kunden für Corporate Editors zu gewinnen.

Wenn es im Haus heißt, Spielhagens Vorgänger Harm Clüver sei als mobil-Chefredakteur beliebter gewesen, dann hat das vermutlich viel mit diesen Veränderungen zu tun. Der Neue hat den Wandel zwar nicht angestoßen, ihn aber mitgetragen. „Natürlich ist die Arbeitsbelastung größer geworden“, sagt Spielhagen. „Aber das gilt in allen Medienunternehmen.“

Corporate Editors hat sich in den vergangenen Jahren zu einer PR-Agentur entwickelt, die neben Zeitschriften auch Internetauftritte und Image-Filme produzieren kann. Der Außenstehende fragt sich nur, ob die Mitarbeiter der Verlagstochter noch Journalisten oder schon PR-Leute sind. „Unsere Mitarbeiter machen zuallererst Journalismus“, sagt Geschäftsführerin Jäkel. „Die Kunden wollen ja schließlich keine Postille bekommen, die niemand liest.“ Spielhagen sagt: „Ich kann mit den PR-Elementen in mobil gut leben. Denn es ist eindeutige PR. Die Bahn steht erkennbar vorne drauf.“

Gegenüber seines Schreibtischs hängen die Druckfahnen der Juli-Ausgabe. Spielhagen spricht jetzt über die neuen Kinderseiten in mobil, die in Kooperation mit GEOlino entstehen. Seit es sie gebe, werde das Heft von den Fahrgästen häufiger mit nach Hause genommen. Eine Kooperation zwischen der Bahn und Beef! schließt der Chefredakteur dagegen aus: „Das Kochmagazin ist dafür zu sehr auf eine spezielle Zielgruppe zugeschnitten.“ Schade eigentlich. Man hätte es gern im Bordrestaurant gekauft.

Über ralfgeissler

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02. Juli 2011 von ralfgeissler
Kategorien: Medien, Wirtschaft | Schreibe einen Kommentar

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