Gottschalks Retter
Markus Peichl gilt als Alleskönner. Er hat Zeitschriften gegründet, Politiker beraten, Fernsehsendungen erfunden und Musikvideos produziert. Nun soll er die ARD-Vorabendsendung von Thomas Gottschalk aus dem Quotentief holen. Peichl wird kämpfen. Aber kann er noch gewinnen?
journalist, 04/2012
Der Mann, der Thomas Gottschalk retten soll, will Ruhe. Markus Peichl hat sich in ein schlichtes Büro zurückgezogen und sieht sich die 31. Sendung von Gottschalk Live an. Allein. Vor der verschlossenen Tür wacht sein Team darüber, dass ihn keiner dabei stört. Schon gar kein Reporter.
Man denkt sich, wenn man jetzt in einem unbeobachteten Moment trotzdem mal guckt, wie er da so sitzt, müsste das in Ordnung sein. Peichl hat ein Herz für Hartnäckige. Vor vielen Jahren ließ er eine Interview-Anfrage an Götz George an einen Stein gebunden durch dessen Fenster werfen, weil der Schauspieler auf Anrufe und Post nicht reagiert hatte. Man drückt also beherzt die Türklinke. Peichl blickt auf, lächelt und sagt: „Geben’s mir bitte die Minuten bis zum Ende der Livesendung.“ Der 53-Jährige schaut wieder auf seinen Fernseher und streift mit der Hand über seinen Bart. Edler Anzug, helles Hemd, schwarz gerahmte Brille. Er sieht nicht so aus, als würde er Steinewerfen noch gut finden.
Im März hat Markus Peichl den vielleicht undankbarsten Medienjob der Republik übernommen: Redaktionsleiter von Gottschalk Live. Peichl soll aus einem alten Zirkuspferd wieder ein Rennpferd machen. Er braucht ein Wunder. Wochenlang fanden Kritiker gar nichts Gutes mehr an der Sendung, die von Grundy Light Entertainment für die ARD produziert wird. Fast 30 Folgen dümpelte die Vorabendshow vor sich hin. Konzeptlos und langweilig. An schlechten Tagen lockte Gottschalk nicht einmal mehr eine Million Zuschauer vor die Bildschirme. Vom „Dead Man Talking“ war die Rede. Jeder konnte sehen: Gottschalk fühlte sich unwohl.
Jetzt soll Peichl für Wohlbefinden sorgen: beim Showmaster, bei der Redaktion und beim Publikum. „Ich glaube felsenfest daran, dass die Sendung eine Chance hat“, sagt er. „Gottschalk ist ein großer Entertainer. Wir müssen seine Talente mit einem zeitgemäßen Format verbinden.“ Das klingt wolkig, und doch ist Peichl der einzige, dem man die Wende zutraut.
Peichl hat Zeitschriften wie das legendäre Zeitgeist-Magazin Tempo erfunden. Er hat Musikvideos gedreht und Moderatoren beraten. Er hat mit 0137 die erste tägliche Talksendung Deutschlands produziert und die erste deutsche Reality-Show Das wahre Leben verantwortet. Peichls Einfluss auf die Medienlandschaft lässt sich kaum überschätzen. Der gebürtige Österreicher hat den Ruf eines nimmermüden Kreativen.
Als erste Maßnahme hat er Gottschalk ein Saal-Publikum verordnet und den Entertainer zu mehr Selbstironie ermuntert. Jetzt lacht selbst Gottschalk darüber, wie sich andere über seinen Abstieg lustig machen. Er sagt Sätze wie: „Werden Sie Zeuge, ob ein Titan den Quotentod stirbt oder ob das Schiller-Wort aus ,Wilhelm Tell‘ sich bewahrheitet: Neues Leben wächst aus den Ruinen.“
Peichl will der Sendung endlich eine Struktur geben. Und er sucht nach etwas Unverwechselbarem. Es geht ihm darum, Gottschalks Stärken zu betonen. Seine Lässigkeit, seinen Humor. Er will keinen anderen Menschen aus ihm machen. „Die Erwartungen, die jetzt viele an ihn haben, kann, darf und muss er nicht erfüllen“, sagt Peichl. „Gottschalk ist ein Entertainer. Er ist kein Moderator und auch kein Journalist. Da sehe ich bei vielen ein Missverständnis.“
Viele Kritiker prophezeien der Sendung trotz Markus Peichl ein baldiges Ende. „Er kann das schaffen“, sagt hingegen Claudius Seidl von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Die beiden haben in den achtziger Jahren beim Magazin Tempo zusammengearbeitet und treffen sich gelegentlich privat – zuletzt zum Skifahren. „Peichls Stärke ist seine analytische Intelligenz“, sagt Seidl. „Er sieht sich drei Sendungen an und erkennt die Probleme.“ Die größte Hürde sei, dass Gottschalk nicht gut zuhören könne. „Er ist nicht in der Lage, mit Leuten zu reden, weil er sich nicht für sie interessiert.“ Doch das könne Peichl ihm beibringen.
Das Warm Up mit seinen Zuschauern macht Gottschalk immerhin selbst. Es ist fünf Minuten vor Sendebeginn, als der Gastgeber Kaugummi kauend in einem karierten Anzug ins Studio eilt. „Ihr seid ein junges, cooles Publikum“, sagt er nach einem Blick auf die Sitzreihen. „In Eurem Alter wisst ihr gar nicht, was die ARD ist.“ Lachen im Saal. Witze auf Kosten der Öffentlich-Rechtlichen kommen bei Unter-Dreißigjährigen gut an. Ob die ARD-Intendanten die nötige Selbstironie dafür haben, sei dahingestellt.
Vorm Studio hängt ein zwei Meter großes Gottschalk-Porträt – goldene Farbe auf schwarzem Untergrund. Das Bild aus dem Jahr 2011 erzählt trotzig: Die glänzenden Zeiten kommen wieder. Peichl wird dafür kämpfen.
„Ich habe früh gelernt, dass man fast alles erreichen kann, wenn man es wirklich will“, sagt der Redaktionsleiter. Als Teenager leitete Peichl in Wien die österreichweite Jugendzeitung Kritik. Er forderte die Abschaffung der Schülerzeitungszensur und Gesetze gegen Lehrer, die ihre Schüler schlagen. Einmal zog er er vor Gericht, weil er den Kultusminister der Lüge überführen wollte. Und verlor. Damit er nicht auf den Prozesskosten sitzen bleibt, traten namhafte Bands in einem Soli-Konzert für seine Zeitschrift auf.
Als der Liedermacher Wolf Biermann 1976 aus der DDR ausgebürgert wurde, träumte Peichl von einem Interview mit ihm. „Biermann, das war für mich wie den Papst zu interviewen“, sagt er. Peichl wusste, dass der Liedermacher beim Journalisten Günter Wallraff untergekommen war. Peichl fuhr hin und täuschte Interesse für dessen Investigativgeschichten vor. „Nach vier Stunden kam Biermann aus einem Nebenraum geschlurft, in Unterwäsche, und redete mit uns“, erinnert sich Peichl.
Der 53-Jährige versinkt jetzt in einem Sofa im Regent Hotel am Gendarmenmarkt, schräg gegenüber der Produktionsfirma. Peichl bestellt die vermutlich teuersten Curry-Würstchen Berlins (18 Euro) sowie ein Mineralwasser. Bei einem Chardonnay verliert er sich in Anekdoten aus seinem Leben.
Mit Anfang Zwanzig reiste Peichl als Fernsehjournalist für den ORF durch Polen. Er erfreute die Frau des Solidarność-Führers Lech Walesa mit einer Flasche Nina-Ricci-Parfum, für einen Termin mit ihrem Mann. Er filmte die Armut auf dem Land. „Ich kam aus einer antiautoritären linken Szene, wo man den Kommunismus nicht unbedingt ablehnte“, sagt Peichl. „Das Erleben der polnischen Diktatur hat mich über vieles nachdenken lassen.“
Der Spiegel hat ihn vor elf Jahren als Vertreter einer Sandwich-Generation porträtiert. Enttäuscht von den Idealen der Achtundsechziger. Aber auch nicht so unbekümmert wie die erste Computer-Generation, die heute taff durchs Internet surft. Eingeklemmt zwischen starken Vorgängern und starken Nachfolgern. Peichl gefiel der Text nicht sonderlich, auch, weil er darin mit Guido Westerwelle verglichen wurde. Er versteht sich als links sozialisierter, freier Geist, den die Machtbesessenheit vieler Achtundsechziger erschreckt hat.
„Meine Generation konnte keinen neuen theoretischen Überbau mehr schaffen“, sagt Peichl. Und so setzte er dem Verrat der Älteren an ihren Idealen etwas Ideologiefreies entgegen. Zeitschriften, in denen es um Popkultur, Pose und Ästhetik ging.
Zurück in Österreich übernimmt Peichl 1980 mit Michael Hopp die Chefredaktion des Wiener. Gemeinsam mit dem Designer Lo Breier machen sie ein Zeitgeist-Magazin daraus. Subjektiv, stilbewusst, ironisch. Die Auflage klettert auf 80.000 Exemplare. 1985 gründet Peichl in Hamburg für den Jahreszeiten Verlag die Zeitschrift Tempo. Er ist jetzt 27 Jahre alt.
Die Redaktion etabliert, angetrieben von überragendem Selbstbewusstsein und Unmengen Cola, den New Journalism in Deutschland mit subjektiv literarisch gefärbten Reportagen. Tom Kummer lässt sich für mehrere Tage in einen Keller einsperren, um über Isolationshaft zu schreiben. Eine Redakteurin bietet sich für eine Geschichte drei Wochen lang als Leihmutter an. Andere belegen im Selbstversuch, dass es die Wohnungssuche erleichtert, wenn man den Eigentümern sexuelle Dienste anbietet. Redakteure der etablierten Medien kotzen vom Olymp über den Stil der jungen Kollegen – und werden ihn später maßvoll kopieren.
Tempo rüttelt an Grundfesten im Journalismus. Eine Trennung von Politik und Unterhaltung? Unnötig! Objektive Berichterstattung? Gibt es ohnehin nicht! „Das Dogma der journalistischen Objektivität ist ein Missverständnis“, sagt Peichl. „Der Spiegel war das manipulativste Medium der Republik. Er hat nur objektiv getan.“ Tempo verkauft nie mehr als 200.000 Exemplare. Doch der Einfluss des Heftes ist enorm. Autoren wie Christian Kracht, Matthias Horx, Moritz von Uslar und Maxim Biller veröffentlichten in Tempo ihre frühen Texte.
Auch Peichl schreibt. In der Nullnummer erscheint sein Porträt „Über einen, der sitzt“. Es geht um einen Freund im Rollstuhl. Er hatte den Text ursprünglich für einen Wettbewerb geschrieben, ging dort aber leer aus. Geehrt wird er trotzdem. Peichl holt mit dem Porträt 1985 den 3. Platz beim Kischpreis als damals jüngster und bis heute einziger Autor, dessen Artikel nie regulär veröffentlicht wurde.
„Der junge Peichl war leidenschaftlich, genialisch, manisch und durchsetzungsfähig“, sagt Liane Uecker. „Und das in einer Art, wie ich sie nie wieder bei einem Chefredakteur erlebt habe.“ Uecker hat als Chefin vom Dienst bei Tempo gearbeitet. Sie sagt, Peichl hat Tempo nicht nur geleitet, er war dieses Magazin. „Wenn wir 3 Uhr morgens nach Hause gingen, saß er immer noch an seinem Schreibtisch und arbeitete an Texten“, erinnert sie sich. Gut genügte ihm nicht. Es musste perfekt sein. Einmal schrieb Peichl gar den Vorabdruck eines Buches um. Aufgrund seines selbstquälerischen Perfektionismus‘ kam nahezu jede Ausgabe zu spät an die Kioske. Meistens nur einige Tage. Einmal sogar zwei Wochen.
Im Frühjahr 1988 fälschte die Redaktion das SED-Blatt Neues Deutschland, schmuggelte ein paar tausend Exemplare über die Grenze und verteilte diese in Leipzig und Ost-Berlin. In der täuschend echt aussehenden Kopie versprach SED-Chef Erich Honecker den neuen Kurs „Glasklar – für Transparenz und Pluralismus in der DDR“. Aufsehen erregte auch eine Story, für die Tempo-Redakteure Bürgermeistern Bauland abkaufen wollten, um ein Lager für HIV-Infizierte zu errichten. Die vorgelegten Baupläne ähnelten dem Konzentrationslager Sachsenhausen. Acht von zehn Gemeinden zeigten dennoch Interesse.
1990 wird Peichl als Tempo-Chefredakteur entlassen. Es heißt, Verleger Thomas Ganske habe die Unpünktlichkeit Peichls nicht mehr ertragen. Aber das war nicht der einzige Grund. Peichl hatte kurz vor seinem Rauswurf ultimativ eine bessere Ausstattung für seine Redaktion gefordert. „Wir versuchten Monat für Monat, uns mit dem Stern oder der ZEIT zu messen, hatten aber deutlich weniger Möglichkeiten.“ Peichl sagt, er sei ausgebrannt gewesen, aber konnte nicht loslassen. Ganske musste ihn vor die Tür setzen.
Es ist paradox, dass der notorisch unpünktliche Peichl und der für seine Überziehungen berüchtigte Thomas Gottschalk nun gemeinsam eine Livesendung machen, in der es auf sekundengenaues Arbeiten ankommt. Gottschalk muss die fest eingeplanten Werbeblöcke im ARD-Vorabendprogramm zeitlich exakt antexten, was ihm nicht immer gelingt.
An einem Dienstag Mitte März ist die Moderatorin Barbara Schöneberger zu Gast in der Show. Die beiden gucken alte Fotos an. „Man denkt immer, dass man sich nicht verändert und dann sieht man solche Fotobeweise und weiß, man ist nicht mehr so wie früher“, sagt Schöneberger. Gottschalk erwidert: „Meine Fotobeweise sind ja noch in schwarzweiß …“ Eines dieser Bilder liegt in der Studio-Deko. Es zeigt ihn mit Günther Jauch. Ein Zuschauer würde das Bild gern mitnehmen und spricht Gottschalk nach der Show darauf an. Der Moderator windet sich. „Das ist ein Original“, sagt er. Er habe auch keine Zeit mehr zum Signieren. „Ich muss mir jetzt meinen Anschiss abholen.“
Jeden Abend werten Gottschalk und Peichl die Sendung aus. Sie verschwinden hinter einer Tür, die von der PR-Dame argwöhnisch bewacht wird. Daneben steht ein Getränke-Kühlschrank, der mit einem Schloss gesichert ist. Vielleicht befürchtet die Redaktion, dass sich Gottschalk hier betrinkt. Grundlos wäre es nicht.
Nach 15 Minuten hat der Entertainer seinen „Anschiss“ abgeholt. Gottschalk kann noch lachen. „Er ist mein Retter und Erlöser“, sagt er über Peichl. Der Erlöser schmunzelt.
Peichl könnte derzeit täglich Interviews geben. Wie er Gottschalk sieht, wie er die Show retten will, ob die ARD noch hinter ihm steht. Peichl hat aber keine Zeit. Im Nebenjob leitet er noch die Lead Academy, kämpft in der Bürgerinitiative „Schützt Potsdam“ gegen die Flugrouten des neuen Hauptstadtflughafens, berät Politiker und leitet die Galerie Crone in Kreuzberg. Anfang März flog er fix zu einer Kunstmesse nach New York. „Fünf Stunden Schlaf, das muss derzeit genügen“, sagt er. Dafür sieht er erstaunlich wach aus.
Peichl hat angekündigt, dass sich die Veränderungen in der Show im Sommer in der Einschaltquote niederschlagen werden. „Was an Schaden angerichtet wurde, das kehrt man nicht in drei bis vier Wochen auf.“ Doch es ist fraglich, ob ihm so viel Zeit bleibt. Am 23. April wollen die Intendanten der ARD wieder über Gottschalk beraten. Dann muss ein deutlicher Trend nach oben erkennbar sein. Ansonsten, so heißt es, könne man von einem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen. Zur Sommerpause wäre dann Schluss.
Auf dem Fernseher im Flur der Produktionsfirma läuft der Abspann von Gottschalk Live. Ausgerechnet der Redaktionsleiter ist falsch geschrieben: Markus Peichel. Ihn stört das nicht. „Ich kümmere mich hier um die wichtigen Dinge“, sagt er. Dazu gehöre auch, Gottschalk seine Würde wiederzugeben. Einen Tag später ist Peichls Name im Abspann geändert, in Markus Pichl. Um die Würde des Redaktionsleiters scheint sich hier keiner zu sorgen.