Wob, der Baumeister

Wolfgang Büchner hat die dpa umgekrempelt. Die einst verstaubte Nachrichtenagentur wurde unter seiner Leitung moderner und lernfähiger. Der Umbau geht weiter: Jetzt will Büchner die fremdsprachigen Dienste enger vernetzen.

journalist, 10/2011

Manchmal läuft Wolfgang Büchner durch sein Großraumbüro und weiß nicht, wen er siezen muss. Als er vor knapp zwei Jahren Chefredakteur der Deutschen Presseagentur (dpa) wurde, hat er allen Kollegen das Du angeboten. Nicht jeder nahm an. „Und bei über 460 Redakteuren habe ich etwas den Überblick verloren“, sagt Büchner. Doch am Ende zählt das Signal: Der Chef setzt auf eine Du-Kultur. Staatstragend war die dpa gestern.

Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass Büchner mit seinen Kollegen in die Hauptstadt gezogen ist und die dpa-Redaktionen aus Hamburg, Frankfurt am Main und Berlin in einem Gebäude auf dem ehemaligen Berliner Mauerstreifen vereint hat. Das neue Großraumbüro misst stattliche 3.000 Quadratmeter, ein dicker Teppichbelag dämpft den Schall, durch die Fenster am fernen Ende des Raums schimmert das Fassadengelb des Axel-Springer-Hochhauses. „Wir sind Mieter bei Axel Springer, sitzen aber nicht im Springer-Gebäude“, sagt Büchner. Der Unterschied ist ihm wichtig. Der Tagesspiegel hat die Unabhängigkeit der dpa schon mal infrage gestellt.

Büchner hat die Agentur reformiert. Er baute sieben regionale Newsdesks auf, die nun die Landesbüros koordinieren. Er predigte seinen Mitarbeitern „richtig geht vor schnell“ und forderte eine neue Lust am Recherchieren und Erzählen. Statt jedes Thema abzudecken, verlangte er mehr Schwerpunkte. Und er führte eine neue Kultur des Umgangs mit Fehlern ein: Zugeben statt Vertuschen. Kurzum: Büchner hat aus der behäbigen Tante dpa eine flotte Schwiegermutter gemacht. Bis sie eine sexy Begleiterin im Journalistenalltag ist, muss er allerdings noch etwas arbeiten.

Der 45-Jährige steht im dunklen Anzug am sogenannten Cockpit – einem Tisch-Kreis im Zentrum seiner Redaktion. Von hier aus wird gesteuert, was Deutschlands größte Nachrichtenagentur veröffentlicht. Ein Bildschirm zeigt dpa-news.de – das Internetportal, auf dem die Agentur ihre Texte und Bilder veröffentlicht. „Unsere Kunden können auf der Seite kommentieren, Fragen stellen, Themen vorschlagen“, sagt Büchner. Und das Portal hilft seinen Mitarbeitern, sich in die Lage der Kunden zu versetzen. „Wenn wir aus unserem Material keine gute Internetseite bauen können“, sagt Büchner, „dann können es andere Redaktionen auch nicht.“

Etwa zwei Mal im Monat sitzt Büchner selbst am Cockpit, mitten im Grundrauschen des Großraumbüros und betreut die Seiten. Das kommt gut an. Fragt man seine Mitarbeiter, hört man viel Positives über ihn: Büchner begegne einem auf Augenhöhe, vermittle Aufbruch, könne mitreißen. Er pflegt eine amerikanische Motivationskultur, sieht zuerst die Chancen. Seine E-Mails unterschreibt der Mann, der die dpa umbaut, manchmal mit Wob. Kling wie: Wob, der Baumeister.

Hauptsorge des Chefredakteurs sind nicht seine Kollegen sondern seine Konkurrenten – allen voran die dapd. Vor anderthalb Jahren begannen die dapd-Eigentümer damit, eine Vollagentur aufzubauen und tönten in der Süddeutschen Zeitung, man wolle die dpa „verzichtbar“ machen. Inzwischen ist die Zahl der dapd-Redakteure auf 300 gewachsen. Die Agentur ist an 32 Standorten vertreten und hat seit dem Sommer ein vollwertiges Sportressort.

Besonders stolz ist man auf die Möglichkeiten der Auslandsberichterstattung. „Wir können per Vertrag auf das gesamte internationale Angebot von AP zurückgreifen“, sagt dapd-Sprecher Wolfgang Zehrt. Man müsse die Texte der weltweit 3.000 Korrespondenten nur noch übersetzen. „Ein besseres internationales Nachrichtennetzwerk kann man gar nicht haben.“

Wolfgang Büchner sieht das anders. „Unsere Auslandsreporter berichten direkt aus der deutschen Perspektive“, sagt er. „Damit entsprechen wir den Bedürfnissen der deutschen Medien.“ Kürzlich konnte eine dpa-Korrespondentin an einem Gruppeninterview für lateinamerikanische Reporter mit US-Präsident Obama teilnehmen. „Sie hat als einzige Obamas Haltung zur Euro-Krise aufgeschrieben“, sagt Büchner. Wenn Deutsche im Ausland entführt würden, berichte stets die dpa am ausführlichsten.

Obwohl Büchner sich im Vorteil sieht, will er seine Auslandsabteilungen umbauen. Neben dem deutschsprachigen Dienst gibt die dpa auch Meldungen auf Englisch, Spanisch und Arabisch heraus. Die Mitarbeiter dieser Auslandsdienste sollen nun zu regionalen Netzen zusammengefasst werden. „Am Ende wird das Personal und Geld sparen“, sagt Büchner, der zugleich betont, die Zahl der Reporter bleibe gleich. „Wir wollen im englischen und spanischen Dienst vor allem die Abteilungen straffen, die Texte redigieren und senden.“

Im vergangenen Jahr hat die dpa 5,2 Millionen Euro Verlust gemacht. In diesem Jahr könnte es wieder ein Plus werden, doch die Zeitungsverlage drängen angesichts sinkender Auflagen auf niedrigere Abonnementpreise. Dabei verweisen sie gern auf die dapd, die von sich behauptet, mit ihrem Basisdienst 30 Prozent günstiger zu sein als die dpa. „Den Preiswettbewerb wollen wir gar nicht gewinnen“, entgegnet Büchner. Für ihn sei der Schlüssel zum Erfolg die Qualität. Der Journalismus habe zwei Alternativen: „Er wird besser oder überflüssig.“

Geboren wurde Wolfgang Büchner 1966 in Speyer als Sohn eines Konditormeisters und einer Verwaltungsangestellten. Seinen ersten Artikel schrieb er mit 16 für die Speyerer Tagespost über das „Sommernachtsfest der Vogelschutzfreunde in Hanhofen“. Nach dem Abitur bildete ihn das Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses in München zum Redakteur aus. 1990 baute Büchner in Halle (Saale) und Magdeburg die Boulevardzeitung Express mit auf, gab ein kurzes Intermezzo bei Bild und wurde 1991 Agenturjournalist bei AP und später bei Reuters.

Damals entschied sich Büchner, sein Studium der Politikwissenschaften abzubrechen. Er ging mit schlechtem Gewissen zu seinem Professor, der ihm die Hand auf die Schulter legte und sagte: „Lieber Freund, für manche ist die Straße die beste Universität.“ Büchner lacht, wenn er heute die Geschichte erzählt. Er sitzt in seinem Büro, das ein wenig an ein Aquarium erinnert. Fast alle Wände sind aus Glas. Seine Mitarbeiter können von Außen sehen, wie er die Höhe seines Schreibtischs verstellt.

Büchner hat wenig Zeit, aber redet gern. Man muss ihm nur einige Stichworte geben, und er hält kleine Vorträge über die Rolle von Journalisten, die mehr einordnen und erklären müssten. Ehemalige Kollegen sagen, er habe sich verändert. Vor zehn Jahren soll Büchner hin und wieder Wutanfälle bekommen haben, wenn etwas nicht so lief, wie er dachte. Heute ruht er geradezu in sich selbst – und wirkt trotzdem sehr wach.

1999 gehörte Büchner zum Gründungsteam der Financial Times Deutschland. Zwei Jahre später stellte ihn Spiegel Online als geschäftsführenden Redakteur ein. Wer dort im Archiv stöbert, hat den Eindruck: Eine Edelfeder ist Büchner eher nicht. Er hat zwar nicht viele Texte für Spiegel Online geschrieben, aber die wenigen sind recht speziell.

So berichtete Büchner unter der Überschrift „Einwobbeln, losbrummen, abrauchen“ im Juli 2001 über ein Treffen von Auto-Freaks, die ihre Musikanlagen aufmotzen. Vor lauter db-Drag-Teams, Dezibel-Boliden und Woofern versteht der Laie beim Lesen allerdings kaum, worum es geht. Im gleichen Jahr beschwerte sich Büchner in einem Artikel darüber, dass er in einem Hamburger Kino zur „Harry Potter“-Vorstellung keinen Logensitz bekam, obwohl er dafür bezahlt hatte. Der Text „Eiskalt abgepottert“ wurde mittlerweile aus dem öffentlichen Archiv entfernt.

Wenn man Büchner darauf anspricht, zuckt er mit den Schultern und kann sich nicht erinnern. Stattdessen öffnet er auf seinem Computer eine acht Jahre alte Textserie. Unter der Überschrift „Agenda 2003 – Was jetzt geschehen muss“ forderte Büchner die Spiegel-Online-Leser damals auf, Reformvorschläge zu schicken: Wie kommt die deutsche Wirtschaft wieder auf Touren? Wie können die öffentlichen Haushalte saniert werden? Wie müssen die deutschen Sozialsysteme reformiert werden? „Wir haben mehr als 1.000 Vorschläge bekommen“, sagt Büchner. „Und wir haben uns sehr gefreut, als die Regierung Schröder kurze Zeit später ihrem Reformprogramm den Titel ,Agenda 2010′ gegeben hat.“

Die Serie illustriert gut, was er am Besten kann: Ideen sammeln, Projekte organisieren, andere begeistern. Er ist eher Manager als Journalist. Bei Spiegel Online baute er die Geschichtsseiten Einestages auf, stieß die Zwiebelfisch-Kolumne mit an und warb Ex-Titanic-Chefredakteur Martin Sonneborn für ein Satire-Ressort.

Eines Abends saßen Sonneborn, Büchner und der damalige Spiegel-Online-Chefredakteur Matthias Müller von Blumencron im Hamburger Gasthaus Glasperle zusammen und suchten nach einem Namen für das Ressort. Schließlich fragte Sonneborn: „Was hassen die Menschen am Internet am meisten?“ Die Redakteure antworteten zugleich: „Spam!“ Damit war die Namensfrage entschieden.

Als Blumencron zum gedruckten Spiegel wechselte, übernahm Büchner mit Rüdiger Ditz 2008 die Online-Chefredaktion. Beiden gelang, was männlichen Doppelspitzen selten gelingt: „Sie haben als Tandem gut harmoniert“, sagt Jochen Leffers, Ressortleiter beim Unispiegel. „Ditz hat ein famoses Gedächtnis für Texte und Themen, ist detailsicher und ausgesprochen loyal zu seinen Leuten. Büchner ist spontan und schlagfertig, sehr kreativ, trifft auch unangenehme Entscheidungen flott. Humor haben beide.“ Sie ergänzten sich.

Vor seinem Wechsel zur dpa Ende 2009 lud Büchner die Mitarbeiter noch einmal zur Party ein. Fast alle erschienen mit einer Maske: Büchner-Gesicht unter Irokesen-Frisur im Sascha-Lobo-Stil. Das spielte auf Büchners Faible für Online-Gimmicks und technische Spielereien an. Seine Sekretärin, die den Party-Gag vorbereitet hatte, verabschiedete ihn mit den Worten: „Ich hab‘ Dir heute 150 Mal die Augen ausgeschnitten.“ Sie tat es aus Zuneigung.

Verschnupft über Büchners Weggang soll Spiegel-Chefredakteur Blumencron gewesen sein. Angeblich konnte er nur schwer verdauen, dass sein Ziehsohn nach nur einem reichlichen Jahr als Online-Chef das Team verlässt.

Nun hat Büchner in kurzer Zeit die dpa verändert. Doch Agenturen sind wie Tanker: Niemand wendet sie auf Anhieb. Die hölzerne Sprache ist noch nicht aus jedem Text verschwunden. Und die WAZ-Gruppe kommt nach wie vor ohne dpa aus. „Entscheidend sind für uns die Leser“, sagt dazu WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz. „In den ganzen Jahren ohne dpa hat niemand angerufen und gefordert: Nehmt wieder diese Agentur.“

Das klingt abweisender als es vielleicht gemeint ist. Reitz sagt auch, dass sich die dpa zum Positiven verändert habe. „Sie arbeitet kundenorientierter. Wir beobachten das sehr genau. Ich finde, dass Wolfgang Büchner einen guten Job macht.“

Das sehen viele in der Branche so. „Man merkt deutlich, dass bei der dpa frischer Wind eingezogen ist“, sagt Joachim Widmann, Chefredakteur beim Fränkischen Tag. Allerdings hält er das Kernproblem für ungelöst. „Alle Agenturen liefern das gleiche Material an alle Medien“, sagt er. „Das benachteiligt Regionalzeitungen, weil die schönen Geschichten schon am Vortag im Internet stehen.“ Die Zeitungen brauchen eigene Inhalte, daher sei es nicht verwunderlich, wenn Zeitungsredakteure Nachrichtenagenturen nicht mehr so wichtig fänden.

Widmann war fünf Jahre lang selbst Agenturchef beim Konkurrenten ddp. Zur Lösung des Dilemmas hat er damals erwogen, einen Feature-Dienst mit schönen Texten einzurichten – exklusiv oder mit zeitlichem Vorrang für die gedruckten Medien. Bevor er die Idee ausprobieren konnte, wechselte er allerdings zur Regionalzeitung nach Bamberg.

Wolfgang Büchner kennt das Problem, will es aber anders lösen. Er setzt auf das Prinzip Veredelung. „Wenn eine Redaktion qualitativ hochwertig sein will, dann wird sie unsere Texte nicht nur kopieren sondern weiterverarbeiten“, sagt Büchner. „Als Agentur liefern wir Bausteine, Referenzmaterial, aus dem die Redaktionen etwas Einzigartiges machen können.“ Unter anderem deshalb hat er den dpa-Notizblock eingeführt, eine Art Infokasten unter jeder Meldung, in dem Expertennamen, Telefonnummern und Internetadressen für weitere Recherchen stehen.

Morgens 9 Uhr: Die dpa-Mitarbeiter strömen zur einzigen Sitzkonferenz des Tages. Wer Effizienz erleben will, sollte hier vorbeischauen. Innerhalb einer Viertelstunde besprechen die Teilnehmer die Themen des Tages. Über Videoleitungen nehmen die regionalen Desks teil. An der Wand ist dpa-news.de zu sehen. Die Schlagzeile „FDP hält an möglicher Griechenland-Insolvenz fest“ findet Büchner unpräzise. Er schlägt vor: „FDP ignoriert Merkels Machtwort“. Keine zehn Minuten später ist der Text geändert.

Seit er hier Chefredakteur ist, schickt Büchner regelmäßig Rundmails an seine Mitarbeiter. Sie lesen sich stellenweise wie Erweckungsschreiben. Von Überzeugungen ist dort die Rede, von Qualität, Engagement und Leidenschaft – und auch von Vorbildern wie Rudolf Augstein. So schrieb er dem Team: „Ich möchte, dass unsere Kunden sagen: ,Ja, wir könnten vielleicht auf dpa verzichten, aber wir wollen das auf gar keinen Fall. Wir wollen daran teilhaben, was die dpa entwickelt. Wir wollen von der neuen dpa profitieren.’“

Büchner sagt, er möchte zeigen, dass professioneller Journalismus eine Chance habe. Dass Qualität sich durchsetze, auch wenn sie Geld koste. Er klingt ziemlich selbstbewusst zum Schluss, als wolle er sagen: Sollte ich scheitern, dann scheitern andere mit diesem Anspruch auch.

Über ralfgeissler

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01. Oktober 2011 von ralfgeissler
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