Der Kaufmann

Bereits zum zweiten Mal leitet Uwe Vorkötter die „Berliner Zeitung“. Vor vier Jahren ging er als Held. Zurückgekehrt ist er als Sanierer.

journalist 02/2010

Sie werden ihn nicht schonen. Das weiß er. Uwe Vorkötter sitzt im 13. Stock der Berliner Zeitung. Ein trister Raum ohne Pflanzen, ohne Schmuck. Hier hat der Chefredakteur ein Konzept erarbeitet. Es soll die Qualität der Berliner Zeitung auch bei sinkenden Erlösen sichern. „Meine Redakteure sind sehr selbstbewusst“, sagt Vorkötter mit einer Mischung aus Stolz und böser Vorahnung. Die Frage ist, wie sie reagieren werden.

Einst war Vorkötter der wohl beliebteste Chefredakteur des Landes. Seine Redaktion nannte man die „Rebellen vom Alexanderplatz“. Und er führte sie an. Vorkötter kämpfte mit seinen Kollegen gegen den britischen Investor David Montgomery, der den Berliner Verlag kaufen und auf Rendite trimmen wollte. Mehr als vier Jahre ist das schon her. Der Kampf ging verloren. Aber die Erinnerung an eine Zeit, als alle zusammen standen – der Betriebsrat, die Redaktion, alle Chefs – lässt selbst einen Analytiker wie Vorkötter sentimental werden. „Es war eine aufregende Zeit“, sagt er. „Aber es war kein Normalzustand.“

So richtig normal ist der Zustand heute auch nicht. Aber Vorkötters Rolle hat sich verändert. Zwar gehört die Berliner Zeitung wieder einem Unternehmen mit publizistischem Anspruch: Der Kölner Verleger Alfred Neven DuMont hat das Blatt vor einem Jahr übernommen und will es langfristig entwickeln. Doch die Wirtschaftskrise macht auch ihm zu schaffen. DuMont beauftragte Vorkötter, seine Abonnementszeitungen enger zu verzahnen. Seitdem grübelt der 56-Jährige, wie stark Berliner Zeitung, Frankfurter Rundschau, Kölner Stadtanzeiger und Mitteldeutsche Zeitung kooperieren können.

„Wir haben ein halbes Jahr lang an unserem Konzept gearbeitet, geredet, gestritten und den Konsens gesucht, soweit es ging“, sagt Vorkötter. Jetzt sind die Pläne fertig. Der Chefredakteur will im April einen Pool aus mehr als zwanzig Redakteuren für Politik und Wirtschaft bilden. Das Team soll unter anderem die einzelnen Parlamentsredaktionen ersetzen und alle vier Titel mit Artikeln bedienen. Die meisten Mitarbeiter werden ihren Arbeitsplatz in Berlin haben. Einige werden bei der Frankfurter Rundschau angesiedelt und dort über Wirtschaftsthemen schreiben. In beiden Häusern bekommt der Pool eigene Räume. Die Redaktionsgemeinschaft, so Vorkötter intern, werde mit erstklassigen Autoren besetzt. Ein schönes Kompliment. Doch es drohen Widerstände.

Die Pläne waren noch gar nicht offiziell, da nannte der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Michael Konken, das Pool-Modell eine „Horrorvision“. Und die Redakteure der Berliner Zeitung schrieben in einem offenen Brief: „Die so genannten Pools für Politik und Wirtschaft, wie sie trotz der Vorbehalte der gesamten Redaktion weiter in Planung sein sollen, widersprächen den Anforderungen der Tageszeitungsarbeit wie auch den Lesererwartungen und dem Redaktionsstatut.“

Anfang Februar will Vorkötter sein Konzept allen Kollegen vorstellen. Doch schon jetzt braut sich etwas zusammen am Alexanderplatz. Sieben Monate war es ruhig. Sieben Monate, die Vorkötter nun schon zum zweiten Mal Chefredakteur der Berliner Zeitung ist. „Als ich zurück kam, hatten viele die Hoffnung, dass es wieder so wird wie früher“, sagt Vorkötter. „Ich weiß, dass ich manche enttäusche.“

Immerhin: In einem Punkt kann er seine Redakteure beruhigen. Wer in den Pool wechselt, darf seine Tarifansprüche mitnehmen. Auch an künftigen Gehaltserhöhungen sollen die Mitarbeiter teilhaben. Außerdem wird es eine Rückkehrgarantie in die Stammredaktion geben, etwa wenn der Pool aufgelöst wird. „Es geht nicht um Lohn-Dumping oder Strafversetzungen. Es geht um Qualität“, versichert der Chefredakteur.

Anruf in der Redaktion. Einer sagt, Vorkötter bekomme schon lange kein Gehalt mehr. Er bekomme ein Schmerzensgeld. Jahrelang habe er selbst recherchiert, Berichte und kluge Kommentare geschrieben. Nun müsse er Sparmodelle als Innovation verkaufen. Manchem täte er Leid.

„Ach was“, winkt Vorkötter ab. „Das Berufsbild des Chefredakteurs hat sich verschoben. Der Management-Teil gehört heute dazu. Wer darunter zu sehr leidet, soll etwas anderes machen. Es wird ja niemand in die Chefredaktion gezwungen.“ Er sitzt auf einem Ledersessel in seinem Büro. Schwarze Anzughosen, graue Krawatte, Gucci-Brille. Die Aufgabenverschiebung manifestiert sich auch optisch.

Die Redaktion wünscht sich einen Vermittler. Einen starken Mann, der ihre Interessen beim Verlag vertritt. Aber Vorkötter kann gar nicht mehr vermitteln. Das Pool-Modell stammt von ihm. Es war auch seine Idee, die Texte der Medien- und Wissenschaftsseiten zwischen Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau auszutauschen. Seit vergangenem Herbst gleichen sich die Inhalte weitgehend. Vorkötter findet das unproblematisch. „Die Zahl der Leser, die beide Zeitungen abonniert haben, ist verschwindend gering. Ich kenne nur einen Doppel-Abonnenten persönlich. Und das ist Wolfgang Thierse.“

Vermutlich hat er Thierse das Gleiche erzählt, was er jetzt allen sagt. Dass sämtliche Titel aus dem Hause DuMont ihre Eigenständigkeit behalten werden. „Der Grundton der Berliner Zeitung bleibt rauer als der intellektuelle Grundton der Frankfurter Rundschau“, versichert Vorkötter. Diese wiederum werde auch künftig konsequent soziale und ökologische Schwerpunkte setzen.

Man wünscht ihm, dass er Recht behält. Dass sein Pool nicht zur Keimzelle für eine Zentralredaktion wird, die irgendwann die kompletten Mantelteile für alle DuMont-Blätter liefert. Dann müsste sich Vorkötter fragen lassen, was ihn eigentlich noch von David Montgomery unterscheidet – dem Finanzinvestor gegen den er einst gekämpft hat.

Damals – im Herbst 2005 – stellte sich Vorkötter nicht nur vor seine Redaktion, er lehnt auch eine Beteiligung am Verlag ab, die Montgomery ihm angeboten hatte. Manche haben Vorkötter deshalb zum Helden stilisiert. Das war übertrieben. Er war nie ein Held. Aber er konnte gut rechnen. Zwanzig Prozent Gewinn sollten nach Plänen Montgomerys vom Umsatz des Berliner Verlags übrig bleiben. „Mir war sofort klar, das wird nicht funktionieren,“ erinnert sich Vorkötter.

Kaufmännisches Denken liegt ihm. Am 7. Dezember 1953 kommt Vorkötter in Bochum zur Welt. Der Vater betreibt einen kleinen Lebensmittelladen. Der Junge steht oft hinter der Theke. Geld, Nachfrage, Warenbeschaffung – das interessiert ihn. Nicht nur im Kleinen, auch im Großen. Nach dem Abitur studiert Vorkötter Volkswirtschaft in Bochum und Tübingen. Er promoviert über die beschäftigungspolitische Wirkung einer verkürzten Wochenarbeitszeit und beginnt nebenbei für die Stuttgarter Zeitung zu schreiben.

Das Blatt bietet ihm eine Stelle an. Und Vorkötter steigt schnell auf. Mit nur 28 Jahren wird er Korrespondent in Brüssel, mit 31 übernimmt er die Leitung der Wirtschaftsredaktion. Zunächst führt er das Ressort in einer Doppelspitze mit jenem Leiter, der einst seine ersten Artikel redigiert hat. „Das war ungewöhnlich“, sagt Vorkötter. „Heute finde ich diese Art der Doppelspitze unmöglich, weil für beide unzumutbar. Es ging trotzdem ganz gut, vor allem weil der Kollege keinen Führungsanspruch geltend machte und mir die Entscheidungen überließ.“ Später wechselt Vorkötter als Hauptstadtkorrespondent nach Bonn. 1996 wird er Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung. Er erneuert das Layout und stärkt die regionale Berichterstattung.

„Vorkötter hat die Redaktion gefordert, gelegentlich auch überfordert“, resümiert später Feuilletonchef Joachim Worthmann. „Aber er hat ihr immer zu erkennen gegeben, wo er steht: auf ihrer Seite, ein Chef gewordener Kollege.“ Dieses Bild hält sich in der Öffentlichkeit lange.

Heute beschreiben Mitarbeiter Vorkötter als höflich, nüchtern und ehrlich. Aber auch als Lavierer, der harte Entscheidungen lange hinauszögert, diese dann aber um so energischer vertritt. Wahrscheinlich war er schon immer ein Manager-Typ. Ein Sanierer. Anfang 2002 verlässt Vorkötter Stuttgart, um zum ersten Mal Chefredakteur der Berliner Zeitung zu werden. Dort verkündet er gleich nach seiner Ankunft Sparmaßnahmen. Er schreckt auch nicht vor betriebsbedingten Kündigungen zurück, die teilweise vor Arbeitsgerichten angefochten werden.

Als Montgomery das Blatt nach heftigem Kampf übernimmt, ist es nicht zuletzt dank Vorkötter profitabel. Weitere Sparmaßnahmen hält der Chefredakteur 2005 für unmöglich. „Es gibt kein Einsparpotential mehr, ohne dass die Qualität leidet“, erzählt er einem Kollegen und wechselt zur Frankfurter Rundschau. Dort setzt er erneut große Veränderungen durch. Vorkötter stellt das Blatt als erste deutsche Tageszeitung auf das kleine Tabloid-Format um. Die Auflage bleibt nahezu gleich. „In ihrer alten Form war die Frankfurter Rundschau nicht zu retten“, sagt Vorkötter heute. Wie lange sie die neue Form überlebt, muss sich zeigen. Inzwischen sinken die Verkaufszahlen wieder. Die Verluste sind hoch.

In gewisser Weise ist die Frankfurter Rundschau das größte Problem im Gesamtgefüge des DuMont-Konzerns. Und obwohl Vorkötter schon vor mehr als einem halben Jahr zur Berliner Zeitung zurückgekehrt ist, hängt ihr Wohl und Wehe maßgeblich vom Erfolg seines Pool-Modells ab. Scheitert es, könnte die Rundschau die erste überregionale Zeitung werden, die in Deutschland eingestellt wird. Denn dauerhaft wird niemand ihre Verluste übernehmen wollen. Gelingt das Modell, hat sie die Chance, bei geringeren Kosten weiter hochwertige Texte zu bekommen.

Auf den ersten Blick könnte man sagen: Mit seinem Pool-Modell macht Vorkötter aus weniger mehr. Aber das ist ein Trugschluss. Denn wenn die Zeitungen auf den Pool zurückgreifen, schwindet die publizistische Vielfalt. Vorkötter weiß das natürlich. Aber er sagt, er könne die wirtschaftliche Lage nicht ausblenden. „Ich gehöre nicht zu den Optimisten der Branche. Wir werden so bald nicht wieder wachsende Auflagen und mehr Anzeigen haben. Gerade deshalb ist unser Kooperationsmodell so wichtig, um hohe Qualität liefern zu können.“

Mehrfach hat er die Veröffentlichung seiner Pläne verschoben. Monate sind vergangen, seitdem Alfred Neven DuMont ihn beauftragt hat, Synergien auszuloten. Der 82-Jährige zieht als Vorsitzender des Aufsichtsrates noch immer die Strippen im Verlag. Angeblich hat er jedes mal, wenn Vorkötter sich am Ziel wähnte, noch einmal nachdenken wollen, weitere Details gefordert. DuMont selbst hatte beim Kauf der Berliner Zeitung offenbar kein Konzept. Trotzdem sind viele in der Hauptstadt froh, dass es den Senior noch gibt. Denn niemand weiß, wie die Macht nach ihm verteilt wird.

Im Vorstand zählen der Journalist Franz Sommerfeld und der Verlegersohn Konstantin Neven DuMont zu den wichtigsten Figuren für die Berliner Zeitung. Beide sitzen auch im publizistischen Beirat. DuMont Junior fiel zuletzt damit auf, dass er zwischen Weihnachten und Neujahr den Blog von Stefan Niggemeier mit wirren Kommentaren füllte. Außerdem sprach er sich mehrfach für kostenpflichtige Inhalte im Internet aus.

„Natürlich ist es falsch, unsere Inhalte im Netz zu verschenken“, sagt Vorkötter. „Aber wir haben die User mit kostenlosen Angeboten angefixt. Jetzt dürfen wir uns nicht wundern, dass sie süchtig danach sind.“ Er lässt offen, ob er nun für oder gegen Bezahlinhalte ist. Staatshilfen für notleidende Verlage kann sich Vorkötter dagegen vorstellen. „Ein Modell wie in Frankreich, wo jeder 18-Jährige für ein Jahr ein Zeitungsabonnement vom Staat geschenkt bekommt. Darüber lohnt

es sich nachzudenken“, sagt er. Nach seinem Wirtschaftsstudium hätte Vorkötter das noch anders gesehen. Damals vertrat er wirtschaftsliberale Positionen. Die reine Lehre. Der Kampf gegen Montgomery hat doch Spuren hinterlassen.

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01. Februar 2010 von ralfgeissler
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