Mit der Kraft Buddhas
Helmut Thoma macht jetzt Regionalfernsehen. Sein Mantelprogramm Volks TV soll die Stadt- und Ballungsraumsender aus ihrer Finanznot befreien. Der ehemalige RTL-Chef hofft vor allem auf junge Zuschauer. Und setzt auf seinen guten Ruf als Fernsehflüsterer.
journalist, Juni 2012
Helmut Thoma lebt wie in einem Museum. Alte Gemälde, Skulpturen, knarzende Möbel. Gleich am Eingang seines Herrenhauses in Hürth bei Köln steht eine lebensgroße Figur aus Indien – halb Mensch, halb Adler. „Das ist ein Garuda“, sagt Thoma. „Das Reittier des Vishnu.“ Im nächsten Raum lächeln den Besucher Buddha-Figuren an. Auf einem Fensterbrett schimmert eine antike Vase. „Das ist etwas Erotisches aus Griechenland“, erklärt der Hausherr. Auf dem Gefäß ist ein Paar beim Sex zu sehen. Bei RTL hätten sie vermutlich Porno-Vase dazu gesagt.
Thoma nimmt auf einem barocken Sessel Platz. Er ist selbst eine Sehenswürdigkeit hier. Ein Mann wie ein Denkmal, ein Heiliger der Fernsehunterhaltung. Er kann sich Exquisites leisten, weil er den Massengeschmack getroffen hat. Der langjährige Manager von RTL ist inzwischen 72 Jahre alt. Aber Ruhestand? Er wolle sich doch nicht zu Tode langweilen!
„Konrad Adenauer hat in meinem Alter erst angefangen mit der Kanzlerschaft“, sagt Thoma. „Solange man im Schädel klar ist, kann man weitermachen.“ Sein Sport? „Ich laufe auf Flughäfen herum.“ Gestern war Thoma in Leipzig, morgen fliegt er nach Nürnberg. Bundesweit wirbt er für sein neues Projekt. Es heißt Volks TV und soll die notorisch klammen Stadt- und Ballungsraumsender in eine bessere Zukunft führen. Gemeinsam mit dem Kölner Medienmanager Helmut Keiser will Thoma ein Mantelprogramm produzieren, das die regionalen Anbieter übernehmen können. Im Gegenzug will er sie an den Werbeeinnahmen beteiligen.
„Wir werden zum drittgrößten privaten TV-Anbieter Deutschlands“, sagt Thoma selbstbewusst. Verträge mit Hamburg 1, TV Berlin, NRW TV, Rhein-Main TV und BW Family TV seien schon geschlossen. „Damit können wir mehr als zehn Millionen Haushalte erreichen“, so Thoma. Weitere Partner seien willkommen. Gewinne erwarte er in den kommenden Monat zwar noch nicht, aber in den nächsten Jahren. „Wir gehen durch eine Wüste“, sagt er. „Da kann man nicht vom ersten Tag an Vollbäder nehmen.“
Thoma klopft immer noch gern Sprüche. Und manche wirken wie Weisheiten aus einem Glückskeks. Er lehnt sich zurück, legt die Hände auf den Bauch und lächelt. Wenn er jetzt ,Ommmmm‘ summen würde, könnte man meinen, er sei eine der Figuren aus seiner Sammlung. Doch die Sanftmütigkeit schwindet schnell. Man muss nur einige Fragen stellen, und Thomas Stimme bekommt einen energischen österreichischen Klang.
Kann Volks TV wirklich das Lokalfernsehen retten? Schon einmal hat ein erfahrener Medienmanager versucht, die Qualität der Regionalsender mit einem Mantelprogramm zu verbessern. Leo Kirch nannte das „Ballungsraumfernsehen“ und scheiterte.
„Der Kirch hat ja auch nur seine alten Serien abgespult, die wirklich keiner mehr sehen wollte“, grantelt Thoma. Er werde ein modernes Programm für junge Zuschauer machen – verknüpft mit Internet und Social Media. Doch was er genau zeigen will, verrät Thoma nicht. „Einen Fußballer können Sie auch nicht fragen, wie er demnächst spielen wird. Da wissen Sie nur: Der hat schon einige Meisterschaften gewonnen.“ Selbst der Sendestart von Volks TV bleibt diffus. Ein vierstündiges Programmangebot wird es vielleicht schon in den kommenden Wochen geben. So richtig los geht es aber wohl erst im Herbst. „Es werden keine Ministerpräsidenten kommen und ein rotes Band durchschneiden“, sagt Thoma. Seit Ende Februar lässt er über Satellit ein Testsignal ausstrahlen. Dort sieht man ein Logo und den Slogan: „Dein Fernseher wird nie wieder derselbe sein.“
Doch bislang verkauft Thoma kein Produkt, sondern nur eine Story. Es ist die Geschichte vom erfahrenen Fernsehmacher, der aus dem Nichts heraus einen erfolgreichen Privatsender geschmiedet hat – und der das noch einmal schaffen will.
Als Thoma 1984 RTL aus der Taufe hob, war das Feld der Mitbewerber überschaubar. Man konnte mit heiterem Beruferaten noch Traumquoten erzielen und Quizgäste mit 50 Mark Hauptgewinn glücklich machen. Es war leicht, unterhaltsamer zu sein als andere. Selbst die private Konkurrenz aus dem Haus von Leo Kirch wirkte betulich.
Kirch hatte seinen privaten Fernsehsender einen Tag früher gestartet als Thoma. Sat.1 begann am Neujahrs-morgen 1984 unter dem sperrigen Namen Programm-gesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk mit einer Rede von Geschäftsführer Jürgen Doetz und beendete den ersten Sendetag mit Beethovens 9. Sinfonie. Thoma schmunzelt darüber heute noch. Sein RTL startete mit dem Programmpunkt Geburtstagsparty und sendete vor Mitternacht Horoskop und Betthupferl. Von Beginn an setzte Thoma auf leichte Kost. Erfrischend anders müsse RTL daherkommen, lautete sein Mantra. Und wenn das nicht geht, müsse es erschreckend anders sein.
Thoma erfand das Frühstücksfernsehen, holte die schrägsten und die jüngsten Moderatoren, in seinen Shows flogen Torten (Alles Nichts Oder?!) und hüpften -Brüste (Tutti Frutti). In Explosiv – Der heiße Stuhl durften die Gäste auch mal schreien. Kritiker spotteten, das Senderkürzel RTL stehe für Rammeln, Töten, Lallen. Thoma entgegnete: „Oberweiten sind auch Reichweiten“ und „Im Seichten kann man nicht ertrinken“. Das Publikum fand es toll.
Ende 1992 wurde RTL erstmals Fernsehmarktführer. Zu verdanken war das nicht nur der konsequenten Unterhaltungsstrategie, sondern auch der Tatsache, dass Thoma seinen Mitarbeitern viele Freiräume gab. „Management by walking around“ nannte er es selbst einmal. „Als Senderchef ist er jedes Risiko eingegangen“, erinnerte sich 2009 Comedy-Chefin Christiane Ruff in der Süddeutschen Zeitung. „Wenn dem was gefiel, dann sagte der nur: ,Machens des‘ und die Sache ging an den Start.“
Lässt sich Erfolg wiederholen? „Ich bin kein Wunder-Fuzzi“, sagt Thoma. „Ich habe keine Ahnung von moderner Musik und verstehe wenig vom Schreiben. Aber ich habe ein Gefühl dafür, was im Fernsehen funktioniert.“ Er schimpft jetzt auf die beiden großen privaten Senderketten in Deutschland, die keine Ideen mehr hätten, aber eine Milliarde Euro an Werbeeinnahmen kassieren würden. „Was bei RTL gut läuft, stammt noch aus meiner Zeit“, sagt Thoma. „Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Das Nachtjournal. Alarm für Cobra 11.“ Den Kampf um junge Zuschauer hätten die Kollegen längst aufgegeben. „Für 14- bis 29-Jährige gibt es keine innovativen Formate mehr“, kritisiert Thoma. Das werde er mit Volks TV ändern. Ihn trennen zwar 50 Jahre von der Zielgruppe. Aber was heißt das schon?
An einem Nachmittag im Mai sitzt Thoma auf einem Podium des Medientreffpunkts Mitteldeutschland in Leipzig und der Moderator fragt ihn, was man sich unter Volks TV vorstellen müsse. Das klinge so nach Volksempfänger. Thoma reagiert verschnupft. „Also wissen Sie, Volk ist nicht nur negativ. Denken Sie an ,Wir sind das Volk‘ oder Volkswagen.“ Er liebäugelt mit einer Kooperation mit dem Axel Springer Verlag, dessen Bild-Zeitung mit „Volksprodukten“ Erfolg hatte. Aber momentan sei Volks TV noch ein Arbeitstitel, sagt Thoma. Im Publikum staunen einige. Der Name steht also auch noch nicht fest.
Für Mike Langer, der auch auf dem Leipziger Podium sitzt, klingt eine Übernahme von Thomas Mantelprogramm wenig verlockend. „Unser Konkurrent auf dem Werbemarkt ist nicht RTL, sondern das lokale Anzeigenblatt“, sagt der Geschäftsführer und Programmverantwortliche von TV Altenburg in Thüringen. Seine Zuschauer interessierten lokale Themen, Kommunalwahlen, kleine Sportevents. Was soll da Volks TV beisteuern? „Für uns ist das Projekt sehr interessant“, sagt hingegen Mathias Adler, Geschäftsführer von TV Berlin. „Viele lokale Sender können sich im lokalen Markt nicht refinanzieren. Wenn Thoma das angeht, bin ich optimistisch.“ Dann sagt Adler noch, dass er auf eine Verjüngung durch das Mantelprogramm hoffe. „Ich fand früher Giga TV wirklich gut.“
Giga TV war ein Spartenprogramm von Helmut Keiser, der sich nun mit Thoma die Geschäftsführung von Volks TV teilt. Der 2009 eingestellte Sender verknüpfte Fernsehen mit Computerspielen. Stundenlang konnte man auf dem Kanal anderen beim Daddeln zusehen. Die Produktion kostete wenig und fand eine kleine, treue Zuschauergruppe. Sollte Volks TV ähnlich werden, was einige Branchenkenner vermuten, dann passt das so gut zu den Regionalsendern wie die Tagesschau zu MTV.
„Jetzt lassen Sie uns doch erst einmal machen“, sagt Thoma. „Wenn wir junge Zuschauer locken, werden die Angebote der Regionalsender auch jünger werden.“ Er steht im Garten seines Hauses in Hürth. Bäume rauschen, Vögel zwitschern. Am Zaun hat er sich ein Stück Berliner Mauer aufstellen lassen. „Früher war hier ringsum Braunkohletagebau“, erzählt Thoma. Heute sei es zwar idyllisch, dafür sei aber auch nichts mehr los. „Vielleicht ziehen wir ja wieder nach Wien.“
Thoma wurde 1939 in Wien geboren. Er machte zunächst einen Hauptschulabschluss und begann eine Ausbildung in einer Molkerei. „Mit 16 Jahren habe ich gedacht, ich will nicht mein Leben lang in Holzpantinen im Kuhstall stehen.“ Er holte in Rekordtempo die Hochschulreife nach, studierte Jura, promovierte und begann in der Rechtsabteilung des ORF, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Österreich. Von dort wechselte er 1973 als Prokurist zur Generalvertretung der IPA in Deutschland, die das RTL Radio betrieb und später den Fernsehsender gründete.
14 Jahre lang war Thoma Mister RTL. Doch schon Mitte der 90er Jahre sorgte er mit seinem Hang zu lakonischen Sprüchen für Irritationen bei den Managern des Medienhauses Bertelsmann, zu dem RTL inzwischen mehrheitlich gehörte. Thoma mokierte sich über die Controller, die nun auf jedem Baum säßen, und machte sich über die Pay-TV-Ambitionen des Konzerns lustig, die er als „elektronischen Rinderwahnsinn“ verspottete. Er bezweifelte, dass man Bezahlfernsehen hierzulande rentabel betreiben könne. Eine These, die noch nicht widerlegt ist – auch wenn sich Rupert Murdoch mit Sky weiterhin bemüht.
Bertelsmann und er trennten sich 1998, wie man so sagt, im gegenseitigen Einvernehmen. Doch die Verletzungen saßen tief. Zu einer geplanten Kooperation zwischen Bertelsmann und Kirch sagte Thoma rückblickend: „Das war halt so, als hätte man ein Joint Venture zum Betrieb der Titanic geschlossen, und zwar nach dem Rammen des Eisbergs.“ Noch heute hat Thoma kaum ein gutes Wort für die Bertelsmänner übrig. „Die sind nie ein leidenschaftliches Medienunternehmen gewesen. Wussten Sie, dass die mal Geld mit Hühnern verdient haben?“, frotzelt er und spielt auf die hessische Eier-Fabrik Hennengold an, die vor rund 40 Jahren zum Unternehmen gehörte.
Helmut Thoma steht vor seiner Haustür und kommt nicht herein. Er klopft, er klingelt. Drinnen bellt sein Hund. Der quirlige Terrier trägt den Namen einer dicken Katze. „Garfield“, ruft Thomas Haushälterin aus der Ferne streng. „Garfield!“ Kaum öffnet sich die Tür, springt der Rüde schwanzwedelnd alle Besucher an. Als Wachhund taugt er nicht. Thoma schützt sein Anwesen auf andere Weise. Rund ums Haus hängen altmodische Überwachungskameras, abschreckend groß, wie sie sonst nur vor Kanzleramt, Bundesdruckerei oder Ministerien zu finden sind. Big Brother is watching you.
Seit seinem Ausscheiden bei RTL hat Thoma immer wieder neue Aufgaben übernommen. Er hat Nordrhein-Westfalens früheren Ministerpräsidenten Wolfgang Clement beraten, mit Boris Becker das Internetportal Sportgate aus der Taufe gehoben, das nach einem Jahr pleiteging, und er saß im Aufsichtsrat der Freenet AG. Er hat viele Mächtige getroffen: Gerhard Schröder („Der will jetzt auch mal Geld verdienen“), Wladimir Putin („Der ist über-raschend nett“) und Angela Merkel. Letztere traf Thoma schon, als sie noch Familienministerin unter Helmut Kohl war und sich um den Jugendschutz im Privatfernsehen sorgte. Beide saßen auf einem Podium, und Thoma fand Merkel merkwürdig schüchtern. „Wenn mir damals jemand gesagt hätte, die Frau wird Kanzlerin – ich hätte ihm geraten, einen Psychiater aufzusuchen“, sagt Thoma.
Er fragt seine Frau, wann morgen sein Flieger nach Nürnberg abhebe. Danièle Thoma koordiniert alle Termine. Wenn Journalisten bei ihr anrufen, kann es passieren, dass sie gerade beim Friseur unter der Trockenhaube sitzt oder durch den Supermarkt schlendert. „Melden Sie sich doch kommende Woche noch mal.“ Doch wer insistiert, dass man ihren Mann wirklich sprechen müsse, hat gute Chancen auf ein Treffen und ein Fotoshooting dazu.Danièle Thoma bewundert ihren Mann und freut sich, wenn es andere auch tun. Sie hat nach seinem Ausscheiden bei RTL ein Buch über ihn geschrieben. Der Gatte bändelte in jener Zeit gerade mit einer Schönheitschirurgin an. Doch Mein Leben mit Mister RTL enthielt keinerlei Häme. Im Gegenteil. Das rechnete Thoma ihr hoch an – und kehrte zurück.
„Ich bin übrigens Freimaurer“, sagt Thoma wieder auf seinem Sessel sitzend. Man hätte ihn ja eher für einen Buddhisten gehalten. „Nur weil einer Briefmarken sammelt, ist er ja noch kein Postbote“, entgegnet Thoma. Aber er schätze an seiner Buddha-Sammlung die Ruhe, die sie ausstrahle. Die Gelassenheit.
Tatsächlich braucht man mit Volks TV Geduld. Mehrfach schon wurde der Start verschoben. Zuletzt hoffte Thoma, dass es am 18. Mai mit einem täglich vierstündigen Programm losgehen könne. Aber auch der Termin verstrich. „Wir haben 20 Millionen Euro zusammen, aber die Verträge liegen noch bei den Juristen“, sagt er. Es ist ein bisschen wie mit dem neuen Berliner Flughafen. Alle warten darauf, dass es losgeht. Aber irgend etwas kommt doch wieder dazwischen.
„Wenn wir starten, werden sich die Kritiker das Maul zerreißen“, ahnt Thoma. „Es wird am Anfang wunderbar nicht funktionieren.“ Und in gewisser Weise wird es wieder wie 1984 sein. Er wird darauf beharren, dass seine Idee super ist und weiter arbeiten, solange er noch die Gangway am Flughafen hochkommt. Für das Zeit-Magazin schrieb Thoma vor zwölf Jahren einen Text für die Reihe „Ich habe einen Traum.“ Der zentrale Satz lautete: „Ich träume davon, immer gebraucht zu werden.“